Hilfe für die Helfenden: Bücher, die Angehörigen von psychisch Erkrankten beistehen
Disclaimer: In diesem Artikel spreche ich potenzielle Triggerthemen wie Depression, Suizid und Trauer an. Bitte entscheide selbst, ob du weiterlesen möchtest.
Kein leichtes Thema, aber ein sehr wichtiges. Wenn du diesen Artikel liest, steckst du vielleicht gerade mittendrin oder hast diese Phase bereits hinter dir: Du bist Angehörige*r einer psychisch kranken Person und fühlst dich allein gelassen. Diese Erfahrung teile ich mit dir – als Kind psychisch kranker Eltern und später in einer langjährigen Beziehung.
Warum Unterstützung für Angehörige so wichtig ist
Ich erinnere mich noch gut an die Tage, an denen ich mich überfordert und isoliert fühlte. Zur Scham und Überforderung kam die Angst vor Stigmatisierung und Verurteilung. Meine vorsichtigen Versuche, mir Hilfe zu holen, blieben oft erfolglos. Ich fragte mich immer wieder: „Wie viel ist meine Verantwortung? Welche Erwartungen darf ich haben? Was sind gesunde Grenzen und wie setze ich diese durch? Wann muss ich gehen?“ Vielleicht stellst du dir gerade ähnliche Fragen.
Wir lernen oft nicht gut mit unseren eigenen Emotionen umzugehen – wie erst mit denen der Menschen, die uns am nächsten sind. Was passiert, wenn eine Schulter wegfällt, eine Hand, die mit anpackt? Was, wenn wir deren Aufgaben übernehmen müssen? Was, wenn wir nicht mehr können? Dürfen wir uns beschweren? Wir sind doch nicht die, die krank sind. Haben wir ein Recht auf Aufmerksamkeit?
Emotional Labour und Care-Arbeit – Unsichtbare Lasten
In unserer Gesellschaft ist es noch immer ein Tabu, darüber zu sprechen, wenn du als Angehörige*r leidest. Doch das müssen wir ändern. Wenn wir psychische Krankheiten entstigmatisieren wollen, müssen wir auch den Angehörigen besser zuhören und sie besser unterstützen. Emotionale Arbeit wird oft ganz selbstverständlich eingefordert und behandelt, als sei dies eine unendliche Ressource. Ist sie nicht. Deshalb möchte ich hier hilfreiche Bücher vorstellen – für diejenigen, die vielleicht nicht so offensichtlich Hilfe brauchen, sie dennoch dringend benötigen.
Ein persönlicher Einblick
Ich schreibe diesen Artikel auch, um eine Leerstelle in meinem eigenen Lebenslauf aufzuarbeiten. Ich hätte diese Bücher damals gebraucht. Ich erinnere mich an meinen Nervenzusammenbruch, der alles änderte. Nach einer dreitägigen Familienfeier saßen mein Partner und ich vor einem Bahnhof in Bayern. Wir hatten uns gestritten, und ich sah in diese leeren, verständnislosen Augen und wollte einfach nur noch schreien. Ich konnte nicht mehr. Das Einzige, was ich noch konnte, war, seiner Familie zu schreiben. Sie müssten ihren Sohn abholen. Sofort.
Wir wurden beide abgeholt und nach Hause gebracht. In diesem Augenblick wusste ich, dass niemand die ganze Last, die ich trug, wirklich sehen konnte. Aber das Eingreifen seiner Familie war ein entscheidender Wendepunkt für uns alle. Es war eine Erleichterung, dass sie die Situation anerkannten und uns halfen. Dieses Verständnis und diese Unterstützung waren für mich von unschätzbarem Wert. Einige Wochen später fand ich den Mut und die Kraft, die Beziehung zu beenden und einen neuen Weg für mich zu finden.
Ich denke oft zurück an diesen Tag. An meine Verzweiflung, an den Zusammenbruch unter der Belastung, an die Scham, die Schuld, die Ängste. An die Liebe und dann doch wieder die Verzweiflung. Ich denke an all die Co-Abhängigkeiten, die sich entwickelt hatten, an die Gewalt, die wir uns antaten und das schier endlose Loch, in das wir gefallen waren. Das klingt dramatisch, aber das war es für mich ja auch. Ich wünsche dir, dass du früher auf dich hörst und wahrnimmst, was du brauchst.
Ich kam aus diesem Loch nur mit professioneller Hilfe und bin unendlich dankbar, dass ich diese Form des Supports in Anspruch nehmen konnte.
Empfohlene Bücher für Angehörige: Orientierung und Unterstützung
Inzwischen gibt es viele gute Bücher und Ratgeber, die sich mit dem Thema „Hilfe für Angehörige“ befassen. Wenn auch du jemanden hast, dem es nicht gut geht, und du dir mehr Unterstützung erhoffst, dann sind diese Bücher vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Sei dir immer bewusst, dass es da draußen Hilfe gibt und dass, wenn der eine Weg nicht weiterführt, es noch viele andere Türen gibt. Du musst da nicht alleine durch.
Ich habe eine Auswahl an Büchern zusammengestellt, die dir helfen können, deine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, Grenzen zu setzen und dich selbst zu schützen.
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Depression. Das Richtige tun: Ein Ratgeber für Angehörige und Freunde von Dr. Christine Hutterer und Prof. Dr. Rummel-Kluge
„Für die Bedürfnisse anderer Personen ist wenig Raum. Ganz anders in diesem Buch, das die Bedürfnisse der Angehörigen in den Mittelpunkt stellt. Dabei soll das große Leid des Betroffenen keineswegs aus dem Blickfeld geraten. Doch gerade bei einer Krankheit wie einer Depression sind die nahestehenden Angehörigen und enge Freunde stark mitbetroffen, stärker als bei vielen anderen Erkrankungen.“
In diesem Ratgeber der Stiftung Warentest wirst du auch deine herausfordernden Emotionen validiert sehen. Du wirst hören, dass deine Wut in Ordnung ist, dass du enttäuscht sein darfst und verletzt. Du wirst lernen, dass du nichts Übermenschliches leisten musst. Hier geht es auch um Achtsamkeit und Selbstfürsorge. Weitere Themen: Sorge vor dem Suizid, Umgang mit akuten Symptomen, Wenn es zur Trennung kommt, u.a. ZUM BUCH
Mit psychischer Krankheit in der Familie leben BApK / Familienselbsthilfe (Hg.)
„Wir Angehörigen machen uns ja gerne klein. So vermeiden wir, allzu oft und allzu heftig anzuecken – sorgen aber gleichzeitig dafür, dass wir mit unseren Bedürfnissen kaum wahrgenommen werden! Wir vergessen allzu gern, dass auch wir Autoritäten, Fachleute sind. Dass wir als Experten des häuslichen Alltags eine Menge zu bieten haben.“
In dieser Broschüre des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen werden verschiedene Perspektiven beleuchtet und umfangreiches Wissen geliefert, um Menschen zu helfen, die an ihre Belastungsgrenzen kommen. Auf der Website des Psychiatrie-Verlags findet sich dieses Fazit: Wer gut informiert ist, kann leichter Grenzen ziehen, Vorurteilen gelassener begegnen und sich selbst notwendige Hilfen holen. Weitere Themen: Kommunikationstechniken, Verantwortung & Selbstbestimmung, Recht & Gesetze, u.a. ZUM BUCH
Wir schaffen es. Leben mit dem depressiven Menschen von Josef Giger-Bütler
„Für sich verantwortlich sein verhindert auch, sich als Opfer zu sehen und den Depressiven dafür verantwortlich zu machen. Selbstverantwortung heißt nicht, einfach nur zu reagieren, sondern meint, ganz bewusst zu entscheiden und über sein Handeln selbst zu bestimmen und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen.“
Es gibt Dinge, die sind schwer zu verarbeiten. Für mich war das zum Beispiel, dass Liebe nicht alles überwindet. Ich habe als Angehörige nicht alles richtig gemacht und wichtig für mich war zu lernen, dass das nicht meine Aufgabe und Verantwortung ist. Ich bin auch nur ein Mensch und meine Verantwortung gilt vor allem mir selbst. Ein großes Kapitel in diesem Buch ist dem Thema „Überforderung“ gewidmet und auch so schwierige Aspekte wie die Angst vor dem Suizid eines Partners kommen zur Sprache. Weitere Themen: das Leiden verstehen, die Frage nach der Schuld, sich selbst helfen, u.a. ZUM BUCH
Selbstfürsorge, Grenzen setzen: auf dich achten und Unterstützung finden
Es gibt zahlreiche Bücher, die Orientierung und Wissen vermitteln können. Je nach deinen Bedürfnissen kann es sinnvoll sein, ein Buch zu wählen, das dir hilft, besser zu verstehen, was genau vor sich geht. Vielleicht benötigst du Unterstützung dabei, zu kommunizieren, was du brauchst und wie du klare Grenzen setzt. Manchmal geht es darum, Trost und Komfort zu finden, oder ein Buch zu lesen, das dir deutlich macht, dass du in deiner Aufopferung zu weit gehst. Jede Beziehung ist einzigartig, und doch bist du mit deinen Herausforderungen nicht allein.
Ich hoffe, dass du vor aller Liebe und Verantwortungsübernahme deine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlierst. Es ist manchmal unheimlich schwer für jemanden da zu sein. Sei gut zu dir selbst und achte auf dich. Lerne, Grenzen zu setzen und auch mal Nein zu sagen. Kennst du die Parabel mit der Sauerstoffmaske im Flugzeug? Ehrlich gesagt kann ich sie langsam schon nicht mehr hören, aber dieses Bild ist so kraftvoll, wenn du es einmal wirklich verstanden hast: Hilf immer zuerst dir selbst – nur dann kannst du verlässlich anderen helfen. Alles Gute und viel Kraft!