Philosophische Texte lesen? Na klar!
Gastartikel von Leistungssportler Philipp KroissKlassiker der Philosophie: Man redet darüber, man bestaunt sie in Buchhandlungen, man bekommt sie geschenkt und lässt sie verstauben. Liest sie auch jemand? Sind sie überhaupt lesbar für den Normalsterblichen? – Einige davon sicher! Im Folgenden erfährst du von Leistungssportler und Philosophiestudent Philipp Kroiss, welche Werke sich für den Start eignen.
Welche philosophischen Werke lassen sich gut lesen?
Als ich mit 20 Lenzen übermotiviert mein Philosophie-Studium begann, führte mich mein erster Weg in die Buchhandlung. Ich brauchte Stoff. Wie immer ging ich direkt zum riesigen, gelb-leuchtenden Reclam-Regal, meinem Lieblingsplatz in jeder Buchhandlung. Ich überflog die Philosophie-Titel und schnappte mir spontan drei Büchlein, von denen ich schon mal etwas gehört hatte: Aristoteles‘ „Nikomachische Ethik“, Augustinus‘ “Confessiones“ und Kants „Metaphysik der Sitten“. Ich hatte Respekt vor den Philosophen, bildete mir aber ein, jedem von ihnen auf Anhieb folgen zu können …
Überheblichkeit führt ja nur selten zum Ziel und auch in diesem Fall brachte sie mich lediglich in eine Sackgasse. Jedes der drei Werke las ich an, durch die „Confessiones“ quälte ich mich sogar mehrere Tage, weil ich dachte, dass irgendwann der Knopf schon aufgehen würde.
Schließlich schmiss ich aber auch dieses Büchlein genervt gegen die Wand, als ich einfach nicht mehr konnte.
Die Philosophinnen und Philosophen, die intensiver und präziser als alle anderen über die großen Lebensfragen nachdenken, faszinierten mich schon immer. Namen wie Platon, Hegel oder Wittgenstein klangen wie die Namen von Allwissenden in meinen Ohren und ich wollte mich ihren Erkenntnissen unbedingt nähern.
Mein erster Versuch war jedoch definitiv der falsche …
Philosophie lesen: Wie man es besser macht
Meiner Meinung nach sollte sich jeder Mensch mit Philosophie beschäftigen. Das WIE ist allerdings entscheidend.
Ich bin nun – zehn Jahre nach meinem Ausflug in die Buchhandlung – mitten in meinem Philo-Master (ja, ich weiß, keine beeindruckende Bilanz!) und nach wie vor nicht in der Lage, die drei oben genannten Werke so verschlingend zu lesen, wie man das zum Beispiel mit gelungenen Krimis macht. Klar würde ich heute viel mehr verstehen. Aber genüsslich im Liegestuhl am Strand, nein, da hätte ich diese Bücher nicht in der Hand.
Wie liest man „die Philosophen“?
„Die Philosophen“ gibt es nicht. Manche Schriftsteller könnte man durch ihre Tiefe und ihren Forschungsdrang fast schon als Philosophen bezeichnen (so zum Beispiel Friedrich Schiller), manche Philosophen durch ihre Wortwahl und ihr erzählerisches Können wiederum als Schriftsteller (hier wäre Friedrich Nietzsche ein gutes Beispiel).
Darüber hinaus sind die Werke in ihrem Umfang, ihrer Komplexität und ihrer Sprache extrem unterschiedlich.
Viele philosophische Bücher kann ich nur mit einer Interpretationshilfe bewältigen (Kants „Kritik der Reinen Vernunft“ oder Hegels „Phänomenologie des Geistes“) und komme auch dann nur sehr schleppend voran.
Kann man Philosophen also überhaupt „einfach so“ lesen?
– Ja, man kann!
3 philosophische Texte für die Anfängerin und den Anfänger
Nur noch eine kleine Warnung vorweg: Philosophische Lektüre schließt das Mitdenken, Hinterfragen und Diskutieren (zumindest mit der Kollegin/dem Kollegen im Kopf, wenn sonst gerade keine/r in der Nähe ist) immer mit ein, auch wenn es sich – wie im Folgenden – um „leichtere“ Kost handelt. Wer nur berieselt werden möchte, ist hier fehl am Platz.
Platons Werk über den perfekten Staat ist ein absoluter Klassiker. Etwa 2400 Jahre ist das Buch nun alt und dennoch zahlt sich die Lektüre nach wie vor aus. Platon – der fast all seine Schriften in Dialogform hinterlassen hat – diskutiert das Wesen der Gerechtigkeit, den Weg zur Erkenntnis, die Organisationsformen eines Staates und vieles mehr.
Natürlich muss man kritische Distanz bewahren. Viele von Platons Thesen wären heute nicht mehr salonfähig (seine Abwertung der Demokratie zum Beispiel oder auch die vorgeschlagene Ungleichheit zwischen den verschiedenen Stämmen). Das Folgen seiner Gedankengänge ist aber spannend und zahlt sich definitiv aus. Klar hat die Forschung das Buch auf Millionen von Seiten zerlegt und vielfach interpretiert. Dennoch bleibt es – auch ohne dieses Sekundärwissen – lesbar für den Anfänger.
Detail am Rande: Das wohl bekannteste Stück Philosophie überhaupt, das man aus der Schule kennt, kommt auch hier vor. Ich spreche natürlich vom „Höhlengleichnis“.
2) Feuerbachs „Das Wesen des Christentums“
Ludwig Feuerbachs wichtigstes Werk, mit dem er Mitte des 19. Jahrhunderts zutiefst provozierte und das ihm viel Ärger einbrachte, ist wahrscheinlich das schwierigere von den drei hier präsentierten. Die Grundthese lautet, dass sich der Mensch seinen Gott selbst erschaffen hat, indem er sein eigenes Wesen veräußert und dann anbetet.
Man spricht hier auch von „anthropomorpher Projizierung“. Feuerbach macht dies deutlich, indem er christliche Mysterien wie zum Beispiel die „Dreieinigkeit“ entzaubert, indem er das Menschlich-Konstruierte darin erklärt. Für mich persönlich war dieser Zugang sehr spannend, die Lektüre kurzweilig und eine tolle erste Beschäftigung mit Religionskritik im Original.
3) Schopenhauers „Aphorismen zur Lebensweisheit“
Der für sein negatives, pessimistisches Denken bekannte Schopenhauer gibt hier eine Anleitung, wie in der so schlechten, unfairen Welt noch am ehesten ein glückliches Leben möglich sein kann. Mir gefiel sein Stil von Anfang an sehr gut. Er schreibt klar, wenn auch oft in langen Schachtelsätzen und mit vielen lateinischen und altgriechischen Einsprengseln, die er leider unübersetzt lässt.
Den begabten und geistig hoch entwickelten Naturen unterstellt er ein Nicht-Funktionieren in der Gemeinschaft. Der Begabte kann sich mit sich selbst beschäftigen, das ist sein größtes Glück, weshalb er nicht von der Langeweile geplagt wird, er hat aber eben auch das Problem, es in der Gemeinschaft nicht auszuhalten.
Eine nüchterne Ethik: Kinder soll man keine Romane lesen lassen, damit ihre Träume, die sie dort eingepflanzt bekommen, später nicht zerplatzen, wodurch sie am Leben zerbrechen könnten. Traurig irgendwie.
Auch interessant: Die größten geistigen Leistungen überhaupt sind – nach Schopenhauer – die Verdienste der Philosophie. In diesem allgemeinen Gebiet ist es am schwersten, neue Weisheiten zu finden, weil es allen am nächsten liegt. In der Biologie oder noch spezialisierteren Wissenschaften braucht es zwar ein sehr langes Studium, hat man dieses aber hinter sich gebracht, wird man gleichsam automatisch zu Ruhm gelangen und für seine Bestrebungen belohnt. In der Philosophie ist dies nicht so. Dort zählt das Genie.
Die Qual der Wahl: Ich hoffe, dass dich zumindest eines dieser drei Bücher angesprochen hat und auch du nun in das spannende Reich der Philosophie eintauchst. Falls dir der Stoff zu trocken erscheint (was er definitiv NICHT ist), sei dir vielleicht mit den Herren Camus und Sartre geholfen, zwei Philosophen des letzten Jahrhunderts, die viel von ihren philosophischen Thesen in Romane verpackt haben. Vor allem „Der Ekel“ (Sartre) und „Der Fremde“ (Camus) sind hier zu nennen, zwei Werke, die ich sehr irritierend und gerade deswegen beeindruckend fand.
Ich wünsche dir eine anregende Lektüre und viel Spaß!
Gastautor Philipp Kroiss
Philipp Kroiss ist Leistungssportler, Philosophiestudent, Autor und Blogger. Auf Gedankennomade.net versucht er, die Welt besser zu verstehen und Suchende zum Lesen, Denken und Schreiben zu bringen. Als Literaturliebhaber und Autodidakt lässt er die Leserinnen und Leser an seiner Entwicklung teilhaben und wünscht sich regen Austausch sowie gemeinsames Wachstum.
Philipp hat auch ein Buch geschrieben: „Die Lesemuffel-Therapie“.
Facebook und auf seiner Webseite.
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