Chinesische Comics: Kennst du Manhua?
Gastartikel von Rudolph Schneider“Manga” – der japanische Begriff für Comics ist vielen Menschen geläufig. Auch Animes drangen früh in den westlichen Mainstream ein. Kaum eine größere Buchhandlung, die etwas auf sich hält, verzichtet noch auf ein Mangaregal.
Weniger bekannt ist jedoch der Begriff Manhua (漫画), der ursprünglich eine bestimmte Form der Malerei bezeichnet und seit dem späten 19. Jahrhundert und dem frühen 20. Jahrhundert für Comics und Cartoons, die aus China stammen benutzt wird. Dass chinesische Comics im Westen wenig bekannt sind, liegt auch daran, dass diese im eigenen Land ein Nischendasein fristen.
Chinesische Comics als Kunstform?!
Als echte Kunstform werden sie nicht anerkannt und unterliegen einer strengen Zensur durch den Staat. Nichtsdestotrotz üben Comics, seien es nun Chinesische Manhuas oder japanische Mangas einen starken Einfluss auf die Jugendkultur Chinas aus. Noch besser lässt sich das in Taiwan beobachten, wo der kulturelle Einfluss Japans deutlich spürbarer ist. Zudem können sich hier die Künstlerinnen aufgrund der geltenden Meinungsfreiheit viel freier entfalten. So überrascht es nicht, dass einer der bedeutendsten Manhua-Künstler aus Taiwan stammt. Chen Uen oder Zhèng Wèn gehört zu den wenigen Ausländer*innen, die sich mit ihren Comics auf dem japanischen Markt etablieren konnten.
Er gewann unter anderem als erster Ausländer einen Preis der japanischen Cartoonisten-Vereinigung. Chen Uen wuchs in einer Zeit auf, in der die Taiwanes*innen selbst noch unter einer Diktatur litten und sich nur mühsam ihre Freiheit erkämpften. Seine bedeutendsten Werke beschäftigen sich deswegen nicht von ungefähr mit einer der wichtigsten Epochen der Chinesischen Geschichte.
Chinesische Geschichte als Comic
In seiner Trilogie „Helden der östlichen Zhou-Zeit“ schildert er Schicksale von bedeutenden Persönlichkeiten aus dieser Zeit, die mitunter auch als die Zeit der Frühlings- und Herbstannalen oder auch als die Zeit der streitenden Reiche bekannt ist.
Ein kleiner Abriss: Die Zhou-Könige waren ähnlich wie die Kaiser*innen des Heiligen Römischen Reiches eher zeremonielle Herrscher*innen, deren Machtfülle nur selten über ihren eigenen Herrschaftsbereich hinausreichte. Viele Staaten existierten damals auf dem Gebiet des heutigen Chinas, die im ständigen Wettstreit miteinander lagen, der nicht selten mit Waffengewalt geführt wurde.
Trotz dieser ständigen Konflikte war es auch eine Zeit, in der Philosophie, Kunst und Kultur blühten. Diese turbulente Zeit endete mit dem Beginn der Herrschaft Qin Shi Huang Di’s, der Herrscher des Reichs Qin, der alle anderen Reiche eroberte und sich zum Kaiser ernannte. Seiner Geschichte widmet sich Chen Uen in „Der erste Kaiser“, und zeigt ihn darin als zerrissenen, paranoiden Charakter, der zwar von Machthunger, aber auch von Angst und Unsicherheit getrieben wird.
Hierin liegt die besondere Anziehungskraft der Bücher von Uen. Bücher über die chinesische Geschichte findet man zuhauf. Doch oft fällt es gerade der westlichen Leserin schwer, sich den Akteur*innen der Geschichte zu nähern. Zu fremd erscheint die chinesische Antike Kultur und mit der westlichen Schablone lassen sich viele Zusammenhänge einfach nicht begreifen. Die Cartoons von Chen Uen lassen die Geschichte anhand der Bilder begreiflich machen und dabei hilft natürlich auch, dass viele seiner Werke mittlerweile auch in hervorragender Übersetzung durch Marc Hermann vorliegen.
Das Vergnügen bilingualer Comics
Für sinophile Sprachlernende wie mich, ist es ein besonderes Vergnügen eine bilinguale Edition in den Händen zu halten, wie sie von Chinabooks herausgebracht wurde. Der zeichnerische Stil Chen Uen’s weicht deutlich von der japanischen Mangatradition ab. Menschen werden wesentlich realistischer abgebildet. Beim Abbilden von Emotionen greift auch Uen auf surrealistische Elemente zurück. Das zornige Gesicht eines Generals wird zu einer dämonischen Fratze. Die zuschlagende Hand wird riesenhaft groß. Er setzt diese Elemente aber behutsam ein. Interessanterweise sind die ersten Seiten seiner Comics in Farbe gehalten und danach wird das traditionelle Schwarz-Weiß verwendet. Über die Gründe hierfür kann man nur mutmaßen. Möglicherweise will der Autor dem Leser eine Farbpalette für seine Vorstellungskraft an die Hand geben. Auch wenn mir persönlich die farblich ausgestalteten Seiten mehr zusagen, so lässt sich doch sagen, dass man auch mit nur zwei Farben eine unglaubliche Atmosphäre erzeugen kann und hierin liegt vielleicht auch die Kunst. Chaotische Schlachtszenen in denen Formen zu verschwimmen scheinen wechseln sich ab mit feinsinnigen Porträts, die ähnlich wie Karikaturen Charakteristika der handelnden Personen deutlich machen.
Der Kaiser als Mensch
In „Der erste Kaiser“ gelingt es Chen Uen, die facettenreiche Persönlichkeit des Tyrannen darzustellen, ihn weder zu idolisieren noch zu dämonisieren, sondern einfach zu zeigen, was für ein Mensch er war, oder möglicherweise gewesen ist. Qin Shi Huang Di ist auch in der heutigen Chinesischen Gesellschaft eine umstrittene Figur. Seine Rolle als Reichseiniger ist unbestritten. Und Einigkeit und Einheit sind im heutigen China Begriffe, die durchweg positiv besetzt sind. Der Weg zur Einheit war aber ein blutiger. In verlustreichen Kriegen einte er das Reich, erstickte die Vielfalt und errichtete eine kurzlebige Schreckensherrschaft. Es ist nicht sicher, ob alles was über ihn geschrieben wurde, wirklich der Wahrheit entspricht, denn die chinesische Geschichtsschreibung hatte immer schon eine Tendenz dazu, die eigene Herrschaft als gütig und gerecht erscheinen zu lassen und die jeweilig vorangehende in den schlimmsten Farben zu malen.
Anmutige Held*innen in chinesischen Comics
Ich persönlich hatte meine erste Begegnung mit dem „Ersten Kaiser“ mit dreizehn Jahren, als meine Mutter mit mir ins Kino ging und wir zusammen Hero schauten. Die Geschichte dreier Attentäter*innen, die sich des mächtigen Qin-Herrschers entledigen wollen, wird in verschiedenen Versionen unter Einsatz von verschiedenen Farbtönen erzählt. Die Helden und Heldinnen bewegen sich anmutig, können gar fliegen und sprechen nur weise Worte.
Kurz vor Gelingen des Unterfangens entscheidet sich der Held jedoch den Kaiser leben zu lassen, da die Ordnung, die er geschaffen hat, zwar gewaltsam und brutal durchgesetzt wurde, aber den Menschen dennoch bleibenden Frieden verschafft hat. Eine Botschaft, mit der auch ich eher gehadert habe. Nichtsdestotrotz löste der Film eine riesige Faszination bei mir aus und das Thema China ließ mich nie wieder völlig los.
In den Comics von Chen Uen wird ein sehr viel komplexerer Charakter des Kaisers gezeichnet. Misstrauen und Angst vor Verrat sind seine ständigen Begleiter und lassen ihn immer gnadenloser und brutaler werden. Selbst seine guten Freunde sind nicht vor ihm sicher.
Als Jugendlicher habe ich vielleicht mit dem Kaiser sympathisiert und mich selbst in Machtfantasien verloren. Große Eroberer übten eine große Faszination aus. Je mehr ich über Geschichte lernte, desto fremder wurden mir diese „Lichtgestalten“. Das Leben, welches diese Herrscher und Herrscherinnen führten, war meist kein glückliches. Qin Shi Huang war am Ende seines Lebens von der Angst vor dem Tod zerfressen. Nachdem all seine Versuche das Elixier des Ewigen Lebens zu erlangen gescheitert waren, ließ er einen riesigen Grabhügel errichten und erschuf eine Armee aus Tonsoldaten, die ihn im Totenreich bewachen sollten. Doch das war nicht genug. Alle seine Diener, Konkubinen und viele der Menschen, die am Bau beteiligt waren, wurden gezwungen ihm in den Tod zu folgen. Kann man mit einem solchen Menschen mitfühlen? Darf man es?
Gastautor Rudolph Schneider
Ich wohne seit einigen Jahren in Berlin und arbeite als Softwareentwickler, Reiseführer und Tourguide. Seit mehr als 10 Jahren beschäftige ich mich bereits mit China, seiner Kultur, seiner Sprache und seinen Menschen. Das Gefühl immer noch am Anfang zu stehen, bin ich trotz Sinologiestudium und mehrjährigem Aufenthalt in der Volksrepublik nicht losgeworden. Andere Themen, die mich umtreiben sind Künstliche Intelligenz, Raumfahrt, Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit. Vielleicht nicht ganz überraschend, dass mein erstes Buch (dass ich 2021 angefangen habe zu schreiben), ein Science–Fiction Roman sein wird.
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