Stelle dir diese Frage: Wie wichtig nimmst du dich wirklich?
Cluny ist nämlich etwas Besonderes. Natürlich sind wir alle etwas Besonderes. Du. Ich. Einfach wir alle. Aber wir, du und ich, wir vergessen das manchmal, oder? Cluny hingegen nimmt sich selbst auf eine gesunde Art und Weise wichtig. Was Cluny außerdem besonders macht, ist ihre Fähigkeit “Nein” zu sagen und auch damit tun wir, du und ich, uns ja oft schwer. Dabei ist Cluny keineswegs rebellisch. Zumindest nicht im eigentlichen Sinne.
Wer ist diese junge Frau Cluny Brown eigentlich und warum ist sie ein Vorbild in Sachen Selbstwert, „Nein“ sagen und sich selber wichtig nehmen?
Alles dreht sich um dich
In einer Buchrezension habe ich gelesen, dass “Die Abenteuer der Cluny Brown” ein historischer Roman mit Jane Austen-Ambiente sei. Woher die Autorin des Artikels diesen Eindruck bekam kann ich nur schwerlich nachvollziehen. Es handelt sich gewiss um einen ganz wundervollen historischen Roman, der in England spielt.
Cluny Brown jedoch würden wir mit Sicherheit in keinem der Romane von Jane Austen antreffen. Mögen die Frauen um 1800 auch eigensinnig und rebellisch gewesen sein (und hier sei angemerkt, dass ich eine der größten Verehrerinnen des schriftstellerischen Werkes von Austen bin), so steckt in Cluny doch ein ganz besonderer Charakter, der sich eben nicht einzig und allein um die Gunst der Männer dreht.
Du bestimmst wer du bist.
Die Geschichte spielt um 1938, kurz vor Beginn des zweiten Weltkrieges, die Nazis sind also bereits eine große Bedrohung. Trotzdem lebt die 21 jährige Cluny zusammen mit ihrem Onkel, einem Klempner, ein weitestgehend sorgenfreies und unbekümmertes Leben.
Cluny ist neugierig, verspielt und besitzt eine gute Portion Naivität, die ihr leider immer wieder zum Verhängnis wird. Die konservativen und spießigen Regeln der englischen Gesellschaft kann Cluny nur schwer nachvollziehen und geht deshalb ihrer eigenen Wege, was bei ihrer Familie leider gar nicht so gut ankommt. All die gesellschaftlich wichtigen Konventionen passen einfach nicht zu Cluny und deshalb mag sie sich auch ihnen auch nicht fügen.
Warum sollte sie denn nicht einen Tee im Ritz trinken oder nach getaner Arbeit bei einem Kunden baden? Einen Tag im Bett liegend Orangen zu essen ist doch auch kein Verbrechen? In den Augen ihres Onkels und der restlichen Verwandtschaft verhält sich Cluny höchst sonderbar und es wird ihr nahegelegt eine Arbeit anzunehmen, die ihr weniger Freiheiten für solche Ungezogenheiten erlaubt.
“Du lieber Himmel!”, rief Addie Trumper. “Was meint sie eigentlich, wer sie ist?” Da war sie wieder, die unvermeidliche Frage, die Cluny Brown immer wieder herauszufordern schien, obwohl die Antwort doch so offensichtlich schien. Denn wofür hätte man sie schon halten sollen?
“Was meinst du eigentlich, wer du bist?”
Diese Frage muss sich Cluny im Roman immer wieder stellen lassen, denn offensichtlich weiß sie es selbst nicht, hat aber auch wenig Lust, sich von ihrer Verwandtschaft vorschreiben zu lassen, wer sie denn nun eigentlich sein soll.
Wie würdest du antworten, wenn dir jemand diese Frage stellt?
Ich denke, dass die wenigsten Menschen mit rausgestreckter Brust und fester Stimme eine selbstbewusste Antwort geben können. Zumindest nicht im ersten Moment. Cluny geht es natürlich nicht anders. Rollen und Konventionen, die ihr jedoch zugewiesen werden, engen sie ein und darauf reagiert sie selbstbewusst.
“Ich bin mir selbst wichtig”, antwortet das taffe Dienstmädchen in einem ziemlich absurden Moment. Allgemein muten die meisten Reaktionen Clunys irgendwie absurd an, aber sie machen sie auch unheimlich sympathisch.
Du kannst tun, was du willst.
Cluny geht ihren Weg. Dabei ist sie keinesfalls arrogant oder gar übertrieben egozentrisch, aber sie sagt “Nein”, wenn ihr etwas nicht passt. Widerstand bleibt bei dieser systematischen Unangepasstheit natürlich nicht aus, aber die Welt mit Clunys Augen zu sehen, macht Spaß und bringt auch ihre Umwelt ordentlich ins Wanken.
Von Cluny können wir lernen, dass Konventionen auch nur von Menschen gemacht sind und wir uns nicht immer und um jeden Preis an sie halten müssen. Einfach mal mehr im Moment leben und nicht sofort mit vorauseilendem Gehorsam die Konsequenzen meiden.
“Ich habe nie verstanden, warum ich die Hälfte von dem, was ich wollte, nicht tun durfte. Irgendwie schien es auch nie einen richtigen Grund zu geben, es lag immer nur daran, dass die Leute diese Dinge selbst nicht tun wollten.”
Einladung, öfter mal “Nein” zu sagen
Wir fühlen uns heute (wahrscheinlich stärker als zu Clunys Zeiten) oft alleine gelassen mit der Frage, wer wir sind und wo unser Platz in dieser Welt ist. Das bedeutet, dass wir zwar bei der Ausschmückung unserer Vorstellung eines “guten Lebens” stärker auf uns gestellt sind, aber dabei eben auch eine ordentliche Portion mehr Freiheit haben.
Sharps Roman ist erfrischend ironisch ohne böswillig zu sein. Die Autorin zeichnet Ihre Figuren liebevoll. “Die Abenteuer der Cluny Brown” waren für mich auf der einen Seite eine leichte Sommerlektüre, aber auf der anderen Seite auch ein Weckruf und eine Einladung öfter mal wieder “Nein” zu sagen, Selbstfürsorge zu betreiben und auf meine eigenen Bedürfnisse zu achten.
Was glaubst du eigentlich, wer du bist?
Das kann ich zwar so leicht nicht beantworten, aber in jedem Fall bin ich wichtig und ich danke Margery Sharp sehr für diesen wundervollen Roman, der mir eine schöne Zeit verschafft hat.