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“Alle meine Freunde haben wen umgebracht” – das klingt ein bisschen wie der Zeichentrickdino, dessen Sprechblase mit den Worten “Alle meine Freunde sind tot” gefüllt sind.

Nur düsterer irgendwie.

Das Buch, von Curtis Dawkins, war mein Lustkauf auf der Leipziger Buchmesse 2018, die Mitte März stattgefunden hat. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich es mir zwar während der LBM, aber nicht auf dem Messegelände, sondern in der Leipziger Bahnhofsbuchhandlung gekauft.

Jedesmal wenn ich in Leipzig bin, nehme ich mir Zeit und genieße die kompetente Beratung vor Ort. Dieses Büchlein jedoch hat mich von allein gefunden. Es ist ein besonderer Fund.

Der Autor, Curtis Dawkins, sitzt nicht etwa in einem abgelegenen Landhaus und erschafft komplexe Charaktere, um uns Leserinnen und Leser zu unterhalten. Er schlürft auch nicht in einem New Yorker Café an einem Latte mit aufgeschäumter Hafermilch.

“Curtis Dawkins schreibt aus ungewöhnlicher Perspektive. Den Weg des Schriftstellers hatte er eingeschlagen, in namhaften Magazinen veröffentlicht, geheiratet, drei Kinder bekommen. […] Jetzt sitzt er lebenslänglich im Knast.”

Im Film sieht alles immer ganz einfach aus

Diese Zeilen auf dem Buchrücken haben mich zum Kauf verlockt. Als ob es relevant wäre, ob jemand vorher oder erst nach einer Straftat den Weg des Schriftstellers einschlüge. Als ob drei Kinder haben und verheiratet sein einen Unterschied mache.

Aber es macht einen Unterschied.

Die Tragik fühlt sich schwerer an. Noch mehr Verlust und Leid wird damit transportiert als durch eine für sich stehende Straftat. Wir erfahren auch schon auf der Buchrückseite, warum der Autor im Gefängnis sitzt: Unter Drogeneinfluss hat Dawkins einen Menschen getötet. Erschossen um genau zu sein.

Auch dem Protagonisten der Geschichte sind Drogen nicht fremd.

“Als ich aufwachte, steckte die Nadel noch, und die Haut hatte angefangen, um das Metall zu heilen. Ich musste die Nadel drehen, um sie zu befreien, und Druck mit dem Wattebausch ausüben. Im Film sieht alles immer ganz einfach aus, aber in Wirklichkeit erfordert Drogenkonsum einige Übung.”

Dawkins Erstlingswerk „Alle meine Freunde haben wen umgebracht“ handelt von Drogen, Schuld und dem Leben im Knast. Die autobiographischen Züge sind offensichtlich.

Die Authentizität, die damit einher geht, erdrückt.

Ich stellte mir die Frage, ob Curtis Dawkins ähnlichen schriftstellerischen Ruhm erfahren hätte, wenn seine persönliche Geschichte irrelevant gewesen wäre. Ich kann es ehrlich gesagt auch jetzt nach der Lektüre nicht beurteilen. Ich mag, wie Dawkins schreibt und seine Zeilen berühren mich, kratzen an mir und sie schockieren auch.

Dawkins selbst hat Schuld auf sich geladen und büßt nun sein Leben lang dafür. Ich glaube, noch kein Buch gelesen zu haben, das ähnlich eindringlich darüber nachdenken macht, was denn Schuld bedeute und welche Rolle wir ihr im Leben zugestehen.

Darf Schuld ganze Familien zerreißen, Leben beenden, lebenslängliche Strafen nach sich ziehen?

Im Philosophiestudium habe ich mich mehr als einmal mit der Bedeutung von Strafen auseinander gesetzt. Die Theorien sind interessant, aber die Realität bitter.

Zurück zum Buch. In Ausschnitten erfahren wir von dem Leben “draußen” unseres Protagonisten. Dem Leben, das er vor seiner Inhaftierung führte. Diese Ausschnitte sind nicht lang und sie haben immer einen fließenden Übergang in die Enge der Gegenwart.

Eine Gegenwart, die keine Handlungs- und Meinungsfreiheit kennt. Ich nehme an, dass in solchen Situationen viel Zeit bleibt, um über die Vergangenheit zu räsonieren.

Ähnlich wie Dawkins im Roman habe ich beim Schreiben dieses Artikels Mühe und Not, um meine Worte nicht abgedroschen klingen zu lassen. Ich mache mir beispielsweise Gedanken darüber, wie viel Moral ich einbringen darf und ob es mir überhaupt zusteht von Moral zu sprechen.

Außerdem frage ich mich, ob es nicht makaber ist, wenn ich einen Gefängnisroman auch in die Kategorie “Freiheit” einordne. Aber es sind schließlich oft die Kontraste, die uns etwas spürbar machen.

Freiheit wertschätzen

Ich kenne jemanden, der mal ein paar Monate gesessen hat. Er meinte zu mir, dass kaum eine Lebenserfahrung ähnlich effektiv gewesen sei, ihn die (später wiedererlangte) Freiheit wertschätzen zu lassen. Auf Freiheit werde ich gleich nochmal eingehen.

Vorher kurz zu einer literarischen Besonderheit des Autors. Unser Protagonist begibt sich seinerseits immer wieder auf eine Metaebene und reflektiert vor und für uns sein Schreiben:

“Ein Wärter sagte uns nur: “Bücherei.” Micky und ich zögerten, weil wir den Weg nicht wussten, und er nannte uns zwei dumme Arschlöcher. Ich wusste, dass auch er gekünstelt wirken würde, wenn ich sein jämmerliches Speckgesicht und seine feine Wortwahl beschrieb, aber da war nichts zu machen.”

Ich erinnere mich nicht, auch nur in einem der unzähligen Bücher, die ich in meinem Leben schon gelesen habe, eine derartige Reflexion des Autors über seinen Schreibstil noch innerhalb der Geschichte mitverfolgt zu haben. Ich muss sagen, dass mir das sehr gut gefällt.

Auf Freiheit wollte ich zu sprechen kommen. Bücher, die sich um Freiheit drehen, gibt es viele. Ratgeber, Sachbücher, auch Romane, die sehr positiv daherkommen und dadurch besonders viel Energie versprühen.

“Alle meine Freunde haben wen umgebracht” versprüht keine Energie und kommt auch nicht positiv daher.

Vergeblich sucht die Leserin oder der Leser Humorvolles und nur an einer Stelle im Buch glaube ich ein Fünkchen Ironie entdeckt zu haben: Nämlich als unser Protagonist und ein paar andere Insassen in ein anderes Gefängnis verlegt werden.

“In Jackson würden wir eine Einzelzelle und etwas mehr Freiheit haben als vorher, also freuten wir uns alle darauf, als wäre es ein tropisches Ferienparadies.”

Es ist ein ernüchterndes, trauriges, schweres Werk, aber – und darin liegt Dawkins Charme – auch ein intelligentes und verständnisvolles. Literatur ist Kunst und es wäre unklug in jedem Roman einen literarischen Selbsthilferatgeber zu erwarten.

Was du und ich aus einem Roman mitnehmen, liegt an uns und ich schreibe das an dieser Stelle genau deshalb nochmal so eindringlich, weil ich nicht möchte, dass eine Leserin oder ein Leser enttäuscht wird.

Diese Lektüre wird dich kaum aufmuntern. Sie wird dich Dinge verstehen lassen, Augen öffnen und Horizonte erweitern, aber es geht auch und vor allem ums Leben.

Und, nunja, das ist nicht immer schön. Im Gefängnis passieren häufiger Suizide, Mobbing bekommt eine neue Dimension und am allerschlimmsten ist für mich von der Hoffnungslosigkeit zu lesen, die viele Menschen heimsucht.

Hoffnungslosigkeit vertreibt die Menschlichkeit. Schreiben hingegen weckt Hoffnung und trotz allem bin ich neugierig auf weitere Werke von Curtis Dawkins. Ich bin optimistisch, dass es sie geben wird und möchte mit ein paar Zeilen als der Danksagung des Autors selbst schließen:

“Oft habe ich solche Trauer und solchen Schmerz im Herzen, dass es mir vorkommt, als würde ich fast explodieren. Aber innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunde, nachdem man die Gefängnistür hat zuschlagen hören, versteht man, dass man entweder an der Vergangenheit zugrunde geht oder lernt in der Gegenwart zu leben. Die Literatur ist für mich ein großer Teil dieser Gegenwart, und ich halte mich daran fest wie an einem Rettungsboot, das täglich aus dem Nebel hervortreibt.”

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