So schwer wie das Schreiben dieses Artikels fiel mir auch die Lektüre des Buches. Und nein – das spricht nicht gegen das Buch. Es bedeutet einfach, dass es hier um ein sehr schwieriges Thema geht und ich diesem gerecht werden möchte. Und dem Buch natürlich.
Es geht um Krebs und das Leben mit der Diagnose. Warum es in so einer schwierigen Lebensphase gut für dich ist, ein Buch zu lesen und warum vielleicht „Halt auf Verlangen“ das richtige dafür ist, erfährst du in diesem Artikel.
Nachdenken und reflektieren
Bücher sind so individuell wie ihre Leserinnen und Leser und die dazugehörigen Leseintensionen. Es gibt Phasen da wünschen wir uns Wohlfühllektüre. Vielleicht für diese regnerischen Tage an denen eine Decke, eine Tasse Tee und ein Buch genau das richtige sind. Moodboosting sagt man auch dazu. Die Laune beispielsweise durch Lesen heben.
Aber immer ist uns nicht danach den Blick nur auf das Positive zu lenken. Es gibt auch Tage und vielleicht Themen, die halten uns zum Nachdenken an, zum Reflektieren und zur tiefen Beschäftigung mit uns selbst und dem was uns gerade in Atem hält.
Die Krankheit Krebs ist immer Auslöser für eine neue Perspektive auf das Leben. Solch eine weitreichende Diagnose zu bekommen, lässt uns fragen, was es bedeutet am Leben zu sein und manchmal auch, wie lange wir noch Gelegenheit haben, am Geschehen um uns herum teilzunehmen.
Ich habe einige Erfahrungsberichte im Internet gelesen und bin auf einen Beitrag gestoßen, der kritisierte, dass oft im Gespräch über die Krankheit, nicht genug Raum für Ängste sei. Also dafür auch mal offen über das Unheil zu sprechen, dass der Krebs mit sich brächte.
„Halt auf Verlangen“ ist ein Buch, welches den Ängsten, dem Schmerz und der Tragik einer lebensgefährlichen Krankheit Raum gibt. Der Raum entsteht durch Worte und Worte sind es oft, die bei schwierigen Themen fehlen. Nicht immer ist es eine bewusste Tabuisierung, die zum Schweigen führt. Manchmal wissen wir auch nicht, was wir sagen sollen und wie wir etwas benennen können.
Literatur macht das Unsagbare sagbar, so Ilse Orth, eine der Begründerinnen der deutschsprachigen Bibliotherapie.
Um Worte und darum, die richtigen für das Falsche zu finden, geht es auch im Roman von Urs Faes. Ein langer Buchanfang ließ offen, wohin der Autor mit seinen Beobachtungen möchte und dann ganz plötzlich fand ich mich in einer detaillierten Beschreibung der Nebenwirkungen eines Krebsmedikamentes wieder.
Spätestens an der Stelle wurde mir klar, dass es hier eben nicht um eine „Feel-Good-Mentalität“ geht. Kein „Halte durch und alles wird gut“. Und das wurde auch auf den späteren Seiten des Buches nicht besser. Harter Tobak, würde ich sagen. Ein Buch, dass ich nicht allen bedingungslos empfehlen kann.
Ein Buch muss zu dir passen
Letztlich passt kein Buch zu jeder Leserin und jedem Leser und vielleicht bist du trotzdem neugierig, wie dir ein schwieriges Buch in einer noch viel schwierigeren Lebensphase weiterhelfen kann. Dann lies gerne weiter.
„Jeder Atemzug ist kostbar. Leben.“
Der Autor, der in „Halt auf Verlangen“ seinen eigenen Kampf mit dem Krebs reflektiert und thematisiert, berichtet von einem für Krebskranke ganz typischen Verhalten: das Leben im Moment und das Fehlen von Plänen für die Zukunft.
Das klingt dann zum Beispiel so bei Faes: „Einer, der sich zusah, wie er sich ängstlich durch die Straßen bewegte, langsam, als suche er etwas, das ihm abhandengekommen war, etwas, das er damals in Berlin noch besessen hatte? Was war ihm abhandengekommen? Das alltägliche Leben, die Gewöhnlichkeit, das Recht zu leben?“
Das besonders letzteres nicht zutrifft, wird deutlich, wenn wir in Faes‘ Gedankenwelt eintauchen. Die Krankheit, die Therapie, Ärzte und Krankenschwestern: all das bildet den Rahmen und stellt die Bedingungen.
Aber der Kern sind Erinnerungen und das Nachdenken darüber, was denn sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt ausgemacht habe. Das Nachdenken über Liebe, über Familie und über Lebenswünsche.
Mit einer stillen Kraft, die das gesamte Buch durchzieht, wird in diesem Roman eine sehr menschliche Innenschau betrieben, die keine Scheu vor Melancholie, Reue und Enttäuschung zeigt. Das liest sich auch mal schwerfällig, aber die Worte sind wohl gewählt und keinesfalls dem Zufall oder gar dem Frust entsprungen. Bewusstheit siegt jedoch auch hier über Kontrolle.
Trotz allem kann unser Protagonist noch lächeln und gerade die kleinen Dinge gewinnen in seinem Leben wieder an Bedeutung.
Auch wenn das Buch in unserem Jahrhundert spielt, in einer Zeit in der unsere Aufmerksamkeit zu großen Teilen dem Smartphone gilt, erhalten wir den Eindruck in eine andere Zeit versetzt zu sein. Nicht zuletzt die Rückblicke auf eine zugegebenermaßen mühsame und auch schmerzhafte Vergangenheit steuern zu diesem Eindruck bei.
Es ist ein trauriges Buch. Keine Frage. Und es ist ein literarisches Werk, das dem Wunsch dem Leben schreibend zu begegnen entsprungen ist.
Worte spielen eine ganz wichtige Rolle und bilden ein immerwiederkehrendes Motiv: „Und du wehrst dich mit Worten gegen das Entschwinden deines Lebens, als könntest du aufhalten, was sich verlieren will. Kannst du? Glaubst du, du kannst? Mit Worten gegen lähmende Angst, Verzweiflung? Gegen Dosen und Diagnosen?“
Was folgt auf die Krebsdiagnose? Krankenhausaufenthalte, Chemotherapie, Arztbesuche, Verzweiflung, Hoffnung? . . .
Auseinandersetzung!
Urs Faes hat erkannt, dass das Schreiben dem Wahnsinn und der Angst begegnen kann und vielleicht liest du dieses Buch und merkst, dass du von all dem was dich eh schon so stark beherrscht, nicht noch mehr lesen und hören möchtest. Vielleicht liest du aber auch das Buch und lässt dich inspirieren selbst zu schreiben, weil du erfahren hast, dass es Worte gibt, die dein Leid beschreiben können und dass in dem Schreiben und Mitteilen wahrer Trost, Halt und Zuflucht liegt. Im Blog werde ich bald einen Artikel zur Poesietherapie veröffentlichen: dabei geht es darum, wie selber schreiben, in einer schwierigen Situation helfen kann.
Was für dich das richtige ist, das weisst nur du. Schau dir das Buch zum Beispiel mal bei Amazon an und entscheide dann ob es dich weiterbringt und dir helfen kann. Schreib mich gerne an, wenn du Fragen dazu hast oder eine Beratung möchtest.
In jedem Fall wünsche ich dir, dass du Worte findest, denn das Sprechen und auch das Lesen helfen. Mit der Diagnose Krebs kannst du dich sehr allein fühlen und Bücher helfen oft gegen die Einsamkeit.