Feministisch denken und argumentieren: Bücher, die echten Support leisten
Ich habe keinen Kinderwunsch und ich möchte nicht heiraten. Beides schließe ich nicht komplett aus, aber ich hatte nie dieses intrinsische Verlangen eine eigene Familie zu gründen. Für Frauen ist der gesellschaftliche Druck sesshaft zu werden, Kinder zu gebären und sich monogam zu binden, jedoch immens.
Feminismus vs. internalisierte Misogynie
Vor vielen Jahren habe ich aus diesem Grund schon “Regretting Motherhood – Wenn Mütter bereuen” (Orna Donath) quasi inhaliert. Damit konnte ich bereits viele gut gemeinte Ratschläge von mir abprallen lassen.
Vielleicht hast du das auch schon mal gehört? Das hier sind alles Aussagen, die ich so wortwörtlich schon zu hören bekam:
“Wenn du mit deinem Freund jetzt keine Kinder kriegst, verlässt er dich bestimmt später für eine jüngere Frau.”
“Du solltest dich immer nur auf eine Person konzentrieren, sonst stumpfst du ab.”
“Ohne Partner und Kinder wirst du im Alter sicher einsam sein.”
“Eine Frau ist doch erst vollständig, wenn sie Kinder bekommt.”
“Schlaf nicht gleich mit jedem.”
Wie diskriminierend, verletzend und abwertend solche Phrasen sind, wird selten reflektiert. Wie stark wir solche Glaubenssätze im herrschenden Patriarchat internalisiert haben, wird mir bewusst, wenn ich mich daran erinnere, dass diese RatSCHLÄGE sehr häufig von anderen Frauen kamen.
Selbstverwirklichung statt Care-Arbeit
Ähnlich schlimm ist es oft um das Verhältnis zur eigenen Sexualität bestimmt. Persönliche Bedürfnisse erkennen, akzeptieren und ausleben? Fehlanzeige. Stattdessen läuft mensch romantisierten Vorstellungen einer monogamen Verbindung hinterher, entfernt jegliche unerwünschte Körperhaare, übernimmt viel zu viel Care-Arbeit und geht vielleicht sexuelle Kompromisse ein, die ein leichtes Erschaudern in mir auslösen.
Und manchmal findet sie dich: Die romantische, monogame Beziehung. Sie umschlingt dich eines schönen Wintertages wie ein warmer Mantel, der jedoch noch beim Tragen einläuft und damit immer enger und enger wird. Du hast es wohlig warm, kannst aber kaum noch atmen. Bedürfnisse bleiben unerfüllt.
Mir gibt das zu denken. Ich habe Fragen, Ängste, Unsicherheiten. Die feministische Literatur liefert hier Support und zahlreiche kraftvolle Antworten.
Feministische Bücher, die aufklären und stärken
In diesem Artikel stelle ich dir eine kleine Auswahl aktueller feministischer Werke vor. Sie alle beleuchten unterschiedliche Perspektiven und Aspekte. Sie zeigen auf, was falsch läuft und sie empowern dort, wo bereits gute Ansätze bestehen. Ich hoffe, du findest hier Inspiration für dich.
“Feminism is for everyone” (Fabienne Sand, Laura Hofmann, Felicia Ewert)
Es gab Zeiten in denen ich feministische Diskussionen gemieden habe. Vielleicht gab es sogar Zeiten in denen ich anti-feministisch argumentiert habe. Aus Unwissenheit und Unsicherheit. Bei einem so großen und wichtigen Thema nicht richtig mitreden zu können, hat mich zwar einerseits demütig werden lassen, aber auch irgendwie handlungsunfähig. Was sollte ich auf dumme Sprüche antworten, die in mir zwar Bauchschmerzen verursachten, aber denen ich keine starken Argumente entgegenzusetzen hatte? Dieses schlaue Büchlein hätte ich mir damals als Einstieg gewünscht. Zum einen, weil es gut erklärte Antworten gibt, aber vor allem auch, weil es die richtigen Fragen aufwirft.
“Empowerment, Feminismus, Gleichberechtigung – was steckt eigentlich hinter diesen Begriffen? (…) Was bedeutet Intersektionalität? Was verbindet Sexismus und Transfeindlichkeit? Und was hat Rassismus mit all dem zu tun?”
“Feminism is for everyone – Argumente für eine gleichberechtigte Gesellschaft” empfehle ich all jenen, die in sich das gleiche Bedürfnis verspüren, mitreden zu wollen.
“Female Choice” (Meike Stoverock)
“Female Choice” trägt den schönen Untertitel “Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation”. Ist es deshalb ein Werk über Männer? Keineswegs. Frauen und Menschen, die sich anderen Geschlechtern zugehörig fühlen, leben in dieser patriarchalen Gesellschaft, sind vom System abhängig und erleiden tagtäglich Reibung, Konflikte, und Diskriminierung. Stoverock veranschaulicht wie die Sesshaftwerdung der Menschen zu ungleichen Machtverhältnissen führte und welchen Weg es daraus gibt.
“Die meisten Erwachsenen tragen also eine mal mehr, mal weniger starke Sehnsucht nach dem, was in der eigenen Kindheit unerfüllt geblieben ist, in sich. Und oft projizieren sie diese auf eine Partnerin oder einen Partner. Wir hoffen, dass der Partnermensch die Ängste zum Schweigen bringt, die Sehnsucht erfüllt, den Selbsthass abmildert, die Leistungsbereitschaft bis zur Selbstausbeutung bremst oder das geringe Selbstwertgefühl aufbessert.”
“Female Choice” ist ein Buch mit diskutablen Thesen. Es ist provokant und lädt zum Diskurs ein. Wir lernen welche Werte es braucht, welche Energie aufgebracht werden muss und wo wir alle uns und unsere Glaubenssätze hinterfragen müssen.
“Radikale Zärtlichkeit” (Şeyda Kurt)
“Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist” habe ich als Hörbuch gehört, gesprochen von der wunderbaren Şeyda Kurt persönlich. Sie fragt, wie Liebe aktuell im Patriarchat funktioniert und wie sie anders funktionieren könnte. Welchen Einfluss nehmen Rassismus und Kapitalismus auf unser Miteinander? Welche Möglichkeiten ergeben sich für die einen und welche Ausgrenzungen finden für die anderen statt? Ich habe mich diesem Buch gewidmet, weil ein Freund kürzlich meinte: “Kaum eine Beziehung in meinem Freund*innenkreis würde nach der Lektüre so fortbestehen wie vorher.” Ich wurde neugierig und wollte wissen, was nötig sei, um solch drastische Veränderungen hervorzurufen.
“Was “romantisch” überhaupt bedeuten soll? Puh. Das ist ein Wort, an dem ich mich in diesem Buch ziemlich abarbeite. Aber so viel sei vorweggenommen: Ich verstehe romantisch als ein historisch gewachsenes Konzept, das die Beziehung von zwei Menschen zueinander normieren will. In unserer Gesellschaft kommt der romantischen Beziehung – zumal in Hetero-Konstellationen – ein Vorrang zu. Eine romantische Beziehung wird als exklusiv, monogam und sexuell verstanden. Andere Konzepte von Intimität, etwa Freund*innenschaften, werden im Gegensatz zur romantischen Beziehung häufig als weniger erstrebenswert betrachtet.”
Ich bin gerade eh in einer Situation, in der ich meine Beziehungen und Freund*innenschaften überdenke und neu gestalte. “Radikale Zärtlichkeit” hat mir dabei nicht nur Richtung, sondern auch viele Argumente gegeben und bekommt von mir auf alle Fälle eine klare Empfehlung.
“Wie die Gorillas” (Esther Becker)
Oha! Wie mich dieses Buch getriggert hat! All diese bösen Erinnerungen an meine eigene Jugend. Gefüllt mit Unsicherheit, Bodyshaming, gestörtem Essverhalten und Komplexen. All die Dinge, die du vor deinen Eltern und Freund*innen geheim gehalten hast und all die Dinge, die du nicht mal dir selbst eingestehen wolltest. Als ich “Wie die Gorillas” gelesen habe, wurde ich traurig, weil mir wieder mal klar wird, wie stark Selbsthass und Schönheitsideale eine Zeit beeinflussen können, die eigentlich von Leichtigkeit, Neugier und Abenteuer geprägt sein sollte. Dieser Roman spricht aus, was sich in so vielen jungen Köpfen Tag für Tag abspielt und selten ernst genug genommen wird.
“Was machst du, wenn deine Kinder Frauen werden? (…) Du wolltest kein Mauerblümchen pflanzen, keine alte Jungfer heranzüchten und trotzdem wird dir mulmig, wenn du dir ausmalst, wie jemand deiner Tochter die Zunge in den Mund bohrt, ihren Brüsten beikommt, ihr den Finger in die Muschi schiebt. Muschi sagst du nicht, du sagst Scheide oder Vagina, wenn es sein muss, unsicher, ob die Betonung auf der ersten oder der zweiten Silbe liegt, du hattest kein Latein.”
Wie stark und zerstörerisch der Druck ist, schön zu sein. Wie groß die Erwartungen, die wir selbst und andere an uns stellen. “Wie die Gorillas” ist sicher keine entspannte Sommerlektüre, aber es bietet eine Perspektive, die (wieder)einzunehmen allemal lohnt.
Feministische Bücher zum Verstehen, Diskutieren und Hinterfragen
Zum Abschluss möchte ich dir vier weitere Bücher nahelegen, die ich kürzlich gelesen und für sehr gut befand. Vielleicht widme ich ihnen mal einen eigenen Artikel, gerade fehlt mir die Zeit. Aber schau sie dir unbedingt einmal an. Ich habe aus diesen Büchern viel mitgenommen:
“Süss” von Ann-Kristin Tlusty
“Wut und Böse” von Ciani-Sophia Hoeder
“Männer” von Johanna Adorján
“Das ist Lust” von Mary Gaitskill
Egal mit welchem Buch du anfängst – trau dich zu diskutieren und bestehende Strukturen zu hinterfragen. Trau dich auch mal Kritik zu äußern und lass auch Kritik an dir zu. Bequem ist das sicher nicht, aber es ist nötig und mit der richtigen Lektüre gewinnst du dabei ganz nebenbei auch noch viel Selbstbewusstsein. Viel Freude beim Lesen!