An alle Mamas dieser Welt: SO NICHT!
Ich liebe reißerische Überschriften. Wenn du jetzt hier bist, weil du wutentbrannt geklickt hast, um dir nicht sagen zu lassen, was du tun und lassen sollst, dann kann ich dich beruhigen. Mit “SO NICHT!” meine ich nämlich genau das: Lass dir nicht sagen, was du tun und lassen sollst. Frech oder?!
Du darfst dich jetzt aber entspannen und die folgenden liebevollen Sätze auf dich einrieseln lassen, um zu erkennen, dass es wirklich Menschen gibt, die großen Respekt vor deiner täglichen Leistung haben. Mutter sein ist nämlich … Ja, was ist Mutter-Sein denn eigentlich? Wahrscheinlich so viel mehr, als ich hier in ein paar Zeilen festhalten könnte. Gill Sims hat einen ganzen Roman darüber geschrieben – “Mami braucht ‘nen Drink” – und dieser hat es in sich.
Kinder kriegen ist nicht schwer, Mutter sein dagegen sehr.
Wenn du die Tagebücher der Bridget Jones mochtest, wirst du auch “Mami braucht ‘nen Drink” lieben. Jetzt sag mir nicht, du kennst Bridget Jones nicht. Ehrlich nicht? Dann komm bitte wieder, wenn … Nein, Spaß! Bleib hier! Ellen, die Hauptfigur im Roman “Mami braucht ‘nen Drink” ist eine moderne Bridget Jones: eine Frau, die unterhaltsam, extrovertiert, schlagfertig und dabei immer etwas kopflos ist. Okay, Ellen ist etwas schlagfertiger und frecher als Bridget. Aber das tut ja nichts zur Sache, wenn du Bridget eh nicht kennst. (Verstehe ich einfach nicht!)
Worum geht es jedoch in unserem Roman? Eines lässt sich auf alle Fälle schon mal festhalten: Es ist eine Komödie. Vom zaghaftem Kichern bis zum lauten Loslachen war für mich alles dabei und zwar von der ersten bis zur letzten Seite. Im Roman wird das moderne Familienleben zum Teil überspitzt dargestellt. Wie das manchmal so ist, werden auch die altbewährten Klischees breitgetreten und stereotypische Charaktere gezeichnet, aber im Ernst: Das macht die Szenen im Roman nicht weniger lustig und glaubwürdig.
Eine absolut mustergültige Mutter
“Mami braucht erstmal einen Drink.” Nunja, was soll ich sagen … Alkohol fließt in rauen Mengen. Wieder: das kennen wir ja auch schon von Bridget (ich zumindest). Warum fließt so viel Alkohol? Ellen geht auf die Vierzig zu, hat zwei Kinder, einen muffeligen, manchmal sogar ignoranten Ehemann Simon und einen IT-Job, der sie nicht wirklich erfüllt.
In ihrer Umgebung scheint ein unerträglicher Perfektionismus an den Tag gelegt zu werden, der Ellen stresst und nervt. All die unausgesprochenen Erwartungen und Vorhaltungen machen ihren eh schon hektischen Alltag nicht unbedingt entspannter. Als berufstätige Mutter kann sie ihren Kindern nicht die Zeit und den Luxus bieten, den andere Mütter mit reichen Ehemännern und Kindermädchen haben.
“Erster Schultag. Ich habe mir fest vorgenommen, meinen Kindern dieses Jahr eine absolut mustergültige Mutter zu sein. Ich werde es schaffen. So sieht meine Tagesplanung für das kommende Schuljahr aus:”
Es folgt eine detaillierte Aufzählung all der Handlungen, die Ellen als perfekte und liebevolle Mutter und Ehefrau darstellen sollen. Alles ist wunderbar eingespielt, kein Klischee wird ausgelassen und natürlich erfahren wir auch schon bald, wie sich die Realität darstellt: Chaos, Stress und Ärger.
Ich liebe den “Scheiß-drauf-Freitag”, den Ellen eingeführt hat und weiß, dass ich ihn ab jetzt auch unbedingt zelebrieren muss. Einen Tag lang in der Woche einfach mal alle fünfe gerade sein lassen. Das wird spaßig. Für Ellen ist das zwar nicht immer so lustig, denn sie kombiniert den Scheiß-drauf-Freitag gerne, wie gesagt, mit viel Alkohol und impulsiven Lebensentscheidungen, aber ihre guten Freunde Hannah und Sam retten sie da schon immer irgendwie wieder raus.
Hürden und Herausforderungen des Elternseins
“Verfluchtes Scheißleben. Da soll noch einer fragen, warum ich dem Gin zugetan bin. “Kinder sind ja so ein Segen” heißt es immer, und dass man jeden Augenblick mit ihnen genießen soll, weil sie so rasch erwachsen werden. Pfff. Die Mutter möchte ich sehen, die in der Lage ist, einen Nachmittag wie den heutigen zu genießen.”
Habe ich schon gesagt, dass Ellen kein Blatt vor den Mund nimmt? Und ich kann dir versprechen: Manchmal wirst du denken “Das kann sie doch so nicht sagen!” Trotzdem (oder gerade deshalb?) ist es erleichternd, dass da mal jemand die Dinge beim Namen nennt und all die Hürden und Herausforderungen des Elternseins ganz direkt und unvermittelt ausspricht. Immerhin handelt es sich hier um eine Art Tagebuch (also ein sehr intimes und ehrliches Schriftstück), welches uns zwischen den teilweise kratzbürstigen Zeilen auch eine Menge Unsicherheit, Verletzlichkeit und Sorgen offenbart.
Hast du schon mal den Begriff “Sorge-Arbeit” gehört? (Wird manchmal auch Care-Arbeit genannt.) Wahrscheinlich nimmt sie bereits einen großen Raum in deinem Leben ein ohne richtig wertgeschätzt zu werden. All die Fürsorge, die du anderen Menschen zuteil werden lässt, fällt dort mit rein. Ich finde es sehr schön, dass dieses Thema im Roman viel Aufmerksamkeit bekommt und Ellen sich immer wieder lauthals einfordert, dass ihre Betreuungsarbeit und die Tätigkeiten im Haushalt nicht weniger wert sind als der Beruf ihres Mannes.
Bestimmt ließe sich dieses Thema noch weiter treiben, aber eine Sensibilisierung und damit auch Bewusstmachung der Arbeit, die eine Mutter leistet, ist viel wert. Solltest du bislang auch oft das Gefühl haben, dass deine Arbeit nicht wertgeschätzt wird, du aber Schwierigkeiten hast deine Unzufriedenheit in Worte zu fassen, dann lies diesen Roman! Um Worte ist Ellen nämlich keinesfalls verlegen.
Unerträglicher Perfektionismus: nicht mit mir!
Kennst du auch diesen unerträglichen Perfektionismus, von dem jede Mutter um dich herum besessen zu sein scheint? Und selbst wenn nicht, auch für Nicht-Mamas ist dieses Buch ein großer Spaß. Ich persönlich mag Romane, die in Tagebuchform verfasst sind, einfach sehr gern. Es liest sich flüssig, Ellens Wortwahl ist eingängig und direkt und ich gebe dir hiermit für deine Lektüre eine Schmunzelgarantie. Liebe Gill Sims, danke für diesen unterhaltsamen und inspirierenden Roman.