Alltagsrassismus verstehen & Mikroaggressionen erkennen: Bücher für weiße Leser*innen
Über Alltagsrassismus zu lernen und den eigenen Anteil daran zu erkennen ist unbequem. Es verunsichert, destabilisiert, kratzt am Selbstbild. Oft meiden wir diese Auseinandersetzung, weil sie weh tut. Genau deshalb ist sie so wichtig.

Alltagsrassismus erkennen: Unsere Rolle verstehen
Ich spreche hier als weiße Person, die in dieser Gesellschaft aufgewachsen ist. Ich profitiere von Strukturen, die andere ausschließen. Wenn ich mich nicht weiterbilde, bleibe ich Teil des Problems. Beim Lesen von Büchern über Rassismus und Mikroaggressionen habe ich immer wieder Aha-Momente und manchmal auch einen defensiven Impuls. Genau das ist für mich inzwischen ein Hinweis: Ich bin da etwas auf der Spur, was ich bisher übersehen oder nicht wahrhaben wollte.
Rassismus betrifft uns alle. Auch dann, eigentlich gerade dann, wenn wir glauben, damit nichts zu tun zu haben. Deshalb lohnt es sich, diese Unsicherheit zu ertragen, die Reibung auszuhalten. Ohne geht es kaum. Aber wir wachsen daran.
Bücher über Alltagsrassismus und Mikroaggressionen
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Kluft und Liebe – Josephine Apraku
Ich mag Aprakus Art zu schreiben sehr. Persönlich und verletzlich. Diese Stimme lässt uns ganz dicht an sich heran und gibt Einblicke, die reine Theorie nicht leisten kann. Ich lerne, wie Diskriminierung zuerst systemisch wirkt und wie sehr unsere persönlichen Beziehungen davon beeinflusst werden. Da ist eine Kluft, die sich nicht wegromantisieren lässt. Apraku zeigt das Große und den Einfluss aufs Kleine. Ich habe von der Lektüre sehr profitiert und mich total gefreut, dass Kluft und Liebe kürzlich auch vertont wurde. ZUM BUCH
People of Deutschland. 45 Menschen, 45 Geschichten – Martina Rink & Simon Usifo (Hg.)
People of Deutschland vereint so viele facettenreiche Stimmen und zeigt die Vielfalt der Erfahrungen in all ihrer Komplexität. Ich habe Menschen kennengelernt, deren Alltag und Erlebnisse mir vorher kaum vertraut waren und war beeindruckt, wie unterschiedlich, komplex und manchmal widersprüchlich diese Erfahrungen sind. Ganz nah am Leben und sehr eindrücklich. Sie zeigen, wie wichtig es ist, zuzuhören und dass jede Perspektive einen eigenen Blick auf Rassismus und Zugehörigkeit eröffnet. ZUM BUCH
Eure Heimat ist unser Albtraum – Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah (Hg.)
Aydemir und Yaghoobifarah sind starke, unverwechselbare Stimmen und mit diesem Buch geben sie vielen anderen wichtigen Stimmen Gehör. Eure Heimat ist unser Albtraum, jetzt in Neuauflage, versammelt 17 Essays, die schonungslos zeigen, wie rückständig, ausländerfeindlich und doppelmoralisch Deutschland in vielen Bereichen ist. Die Texte lassen keinen Raum für Schönfärberei, sie konfrontieren uns mit dem, was wir oft ignorieren oder nicht wahrhaben wollen. Wir müssen hinsehen, zuhören und handeln. Und zwar jetzt. ZUM BUCH
Sprache, Macht und Rassismus: Wie Worte wirken können
Sprache und Sein – Kübra Gümüşay
Ein anspruchsvolles Buch, das tiefgreifend die Macht unserer Sprache erkundet. Sprache beschreibt zuerst, aber sie formt auch und etabliert Machtverhältnisse. Wir kategorisieren, grenzen aus und diskriminieren, oft unbewusst. Gümüşay zeigt, dass wir eine Sprache brauchen, die Menschen in ihrer Vielschichtigkeit anerkennt und respektvolle, inklusive Kommunikation ermöglicht. Dieses Buch hat bei Erscheinen sehr viel Aufmerksamkeit bekommen und wurde viel diskutiert. Wenn du mitreden können möchtest, dann gehts hier: ZUM BUCH
War das jetzt rassistisch? – Black Voices (Hg.)
Der Titel allein hat mich sofort abgeholt: genau diese Frage stelle ich mir oft. Und ehrlich gesagt: Nicht selten brauche ich eine Weile, um zu verstehen, warum eine Situation verletzend oder diskriminierend war. Dieses Buch ist ein großartiger Begleiter. Es macht sichtbar, wie subtil Rassismus im Alltag wirkt, wie Mikroaggressionen aussehen und warum sie eben nicht „Kleinigkeiten“ sind. Jedes der 22 Kapitel widmet sich einer typischen Gesprächssituation: „Darf ich dein Haar anfassen?“, „Seid ihr nicht auch rassistisch?“, „Ich hab’s auch schwer.“ oder der Klassiker: „Ich bin kein böser Mensch. Was hat Rassismus mit mir zu tun?“ Finde es heraus. ZUM BUCH
Alltagsrassismus verstehen: Einstieg mit wichtigen Büchern
Dear Discrimination – Wirmuesstenmalreden
Vor Jahren habe ich Dear Discrimination bereits auf Literaturpower vorgestellt und ich bin nach wie vor überzeugt: Es ist ein unwahrscheinlich wichtiger Ratgeber für weiße Menschen, die sich als Verbündete (Allies) für Black, Indigenous und People of Color (Bi_PoC) engagieren möchten. Das Buch erklärt zentrale Begriffe verständlich und das umfangreiche Awareness-Glossar am Ende ist besonders hilfreich. Wirmuesstenmalreden war damals ein Kollektiv aus drei mehrgewichtigen Indigenous und Women of Color. Das eBook gibt es bei Mikrotext schon für unter 5 €. Aus meiner Sicht ein Muss für jedes Bücherregal und jeden Kopf. ZUM BUCH
Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche – Reni Eddo-Lodge
Dieses Buch hat mir gezeigt, wie anstrengend es für Schwarze Menschen sein muss, immer wieder dieselben Gespräche mit weißen Menschen zu führen … Gespräche, die oft in Abwehr oder Relativierungen enden. Eddo-Lodge schreibt klug, direkt und gleichzeitig sehr persönlich darüber, warum sie diese Gespräche irgendwann nicht mehr führen wollte. Besonders wichtig fand ich ihre Analyse darüber, wie tief Rassismus in Geschichte und Gesellschaft verankert ist und wie unsichtbar weiße Privilegien für weiße Menschen bleiben. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt, wie oft ich selbst genau in solche Abwehrmechanismen gerutscht bin. Das Buch ist unbequem, aber genau deshalb so wertvoll. ZUM BUCH
exit RACISM & Und jetzt du – Tupoka Ogette
Um Tupoka Ogette kommt mensch nicht herum und das möchte mensch auch gar nicht. Für mich war sie ein extrem guter Einstieg in das Thema. Lebst du noch in „Happyland“? Das ist ein Begriff für die Vorstellung, dass Rassismus nur etwas „da draußen“ sei und mich selbst nicht betrifft. Dank Ogette wurde mir erstmals vor Jahren so richtig bewusst, wie tief Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Exit Racism ist klar, direkt und zugänglich; Lernen über Rassismus ist ein Prozess und Fehler sind erlaubt: sie lassen uns wachsen, wenn wir bereit sind, zu reflektieren. In Und jetzt du bekomme ich konkrete Impulse, um im Alltag sensibler zu handeln. EXIT RACISM & UND JETZT DU
Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten – Alice Hasters
Ein eindringlicher Titel, oder? Wann hast du zuletzt jemandem die Frage gestellt: „Wo kommst du her?“ Hasters zeigt, dass wir anders über Rassismus sprechen müssen. Es geht nicht einfach um Verbote oder die Klage, „was man alles nicht mehr sagen darf“, sondern um echte Gleichberechtigung und darum, unser eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen. Das heißt auch zu verstehen, warum wir uns auf bestimmte Weise verhalten. Hasters macht deutlich, wie schleppend der Diskurs noch immer ist und wie dringend wir umdenken müssen. ZUM BUCH
Erfahrungsberichte über Rassismus in Deutschland
Alman vs. Kanake – Ünsal Arik
Mai 2025 durfte ich in Istanbul leben. Was für eine Stadt! Vor Jahren habe ich das Buch “Alman vs. Kanake” des veganen Profiboxers Ünsal Arik gelesen und seitdem hatte mich eine Frage besonders beschäftigt: Warum lernt hier in Deutschland eigentlich niemand Türkisch? Englisch, Französisch oder Spanisch gelten als „gute“ Fremdsprachen … Türkisch, Arabisch oder Persisch nicht. Das ärgert mich. In Duolingo habe ich inzwischen fast 30.000 XP gesammelt; viel kann ich noch nicht, aber ich probiere es weiter. Arik zeigt, wie tief Vorurteile und Alltagsrassismus in Deutschland verankert sind: von kleinen Begegnungen bis zu gesellschaftlichen Strukturen, die Menschen kategorisieren und ausgrenzen. Ein Buch, das ich sehr empfehlen kann, nicht nur für Berliner*innen. Ich hätte es gerne schon früher gelesen. ZUM BUCH
Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit – Gianni Jovanovic & Oyindamola Alashe
Als ich noch Lehrerin im ehemaligen Berliner Osten war und erstmals Rom:nja in einer unserer sogenannten „Willkommensklassen“ (ein Euphemismus) unterrichten sollte, wurde mir wieder einmal schmerzlich bewusst, wie stark institutionelle Diskriminierung wirkt und welche Vorurteile ich selbst bereits internalisiert hatte. Letzten Sommer in Rumänien, wo viele Rom:nja und Sinti:zze leben, habe ich mich intensiver mit ihrer Geschichte beschäftigt und dabei auch die spannende Lebensgeschichte von Gianni Jovanovic gelesen. Bereits als Kind erlebte er Anfeindungen, wurde früh verheiratet, mit 17 Vater und bekannte sich Anfang 20 zu seiner Homosexualität. Trotz all dieser Herausforderungen ist er heute eine der bekanntesten Stimmen der Rom:nja und Sinti:zze in Deutschland. ZUM BUCH
Orlanda Verlag: Stimmen sichtbar machen
Mist, die versteht mich ja & Raus aus den Schubladen – Florence Brokowski-Shekete
Auf den Orlanda-Verlag bin ich vor Jahren durch die Bücher von Florence Brokowski-Shekete aufmerksam geworden. Ein Besuch auf der Buchmesse ist für mich heutzutage erst dann rund, wenn ich an diesem Stand vorbeikomme und in all den wundervollen Titeln stöbern kann. Brokowski-Shekete schreibt in Mist, die versteht mich ja aus ihrem eigenen Leben und für Raus aus den Schubladen hat sie mit zwölf Schwarzen Deutschen über ihren Alltag und Beruf gesprochen. Sie macht Themen wie Diversität, Identität und Selbstermächtigung zugänglich, öffnet neue Perspektiven, regt zum Nachdenken an und hinterlässt lange bleibende Eindrücke. Am besten schaust du selbst einmal beim Verlag vorbei: orlanda.de und entdeckst die volle Bandbreite toller Bücher, die hier erscheinen. ZU Mist, die versteht mich ja und ZU Raus aus den Schubladen
Schwarz wird großgeschrieben – Evein Obulor
Auch Schwarz wird großgeschrieben, herausgegeben von Evein Obulor in Zusammenarbeit mit RosaMag, wird nun vom Orlanda-Verlag verlegt. Ursprünglich erschien dieser kraftvolle Essayband bei &Toechter, einem Verlag, den ich sehr schätzte. Damit unabhängige Verlage weiterhin wichtigen Stimmen Gehör verschaffen können, müssen wir deren Bücher kaufen und lesen. Schwarz wird großgeschrieben versammelt 20 Schwarze FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Trans, Agender) aus Deutschland, die ihre persönlichen Geschichten teilen. Ich kann es gar nicht oft genug betonen: Wir müssen zuhören und lernen, wenn Menschen uns das Geschenk ihrer Stimme machen. ZUM BUCH
Romane, die den Blick auf Rassismus öffnen
Fiktion kann oft Türen öffnen, die Sachbücher eher nur aufstoßen. Durch Geschichten lernen wir, Perspektiven einzunehmen, Menschen „von innen“ zu verstehen und gesellschaftliche Strukturen nachzuempfinden. Die folgenden Romane zeigen auf unterschiedliche Weise, wie Alltagsrassismus, Identität und Zugehörigkeit erlebt werden.
- Ein schönes Ausländerkind – Toxische Pommes
- Zusammenkunft – Natasha Brown
- Good Girl – Aria Aber
- The Hate U Give – Angie Thomas
- Such a Fun Age – Kiley Reid
- Daily Soap – Nora Osagiobare
- Queenie – Candice Carty-Williams
- Single Mom Supper Club – Jacinta Nandi
Reflexion und Bildung sind erste Schritt gegen Rassismus
Ich bleibe Lernende. Immer wieder stolpere ich über eigene blinde Flecken und frage mich, wie oft ich selbst schon Situationen erzeugt habe, die für andere verletzend oder sogar gewaltvoll waren. Das auszuhalten ist nicht leicht, aber notwendig.
Eine indische Freundin erzählte mir einmal, wie erschöpfend es sei, ständig als Stellvertreterin für ein ganzes Land, eine ganze Kultur oder eine Religion herhalten zu müssen. Erwartungen und Zuschreibungen engen Menschen ein. Wir müssen aufhören, sie in Rollen zu drängen und anerkennen, dass Betroffene selbst bestimmen, ob etwas rassistisch ist oder nicht.

Mehr lesen, mehr verstehen, Verantwortung übernehmen
Wenn du tiefer einsteigen willst, empfehle ich dir nicht nur die obigen Bücher über Rassismus und Mikroaggressionen, sondern auch aktuelle Publikationen wie das Missy Magazine, das ich einfach liebe. Ein Online-Monatsabo bekommst du schon für weniger, als dich eine Iced Caramel Latte mit falsch ausgesprochenem Namen kostet.
Am Ende geht es nicht darum, „fertig“ zu werden mit diesem Thema … das werde ich nie. Es geht darum, dranzubleiben, zuzuhören, weiterzulesen und nicht stehenzubleiben. Wir alle tragen Verantwortung.





















