Was ist Poesie-Therapie?

Warum wir schreiben sollten
 

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Poesie-Therapie: Schreiben macht glücklich.

Die meisten von uns haben bereits einmal in ihrem Leben einen Brief verfasst oder zu einer bestimmten Zeit Tagebuch geführt und dabei eine gewisse Erleichterung erfahren. Hast du auch schon mal Gedanken zu Papier gebracht und dich allein dadurch schon besser gefühlt? Dann kann es sein, dass du – vielleicht ohne jemals davon gehört zu haben – bereits Poesie-Therapie betrieben hast. Kreatives Schreiben zeigt immer in irgendeiner Form eine therapeutische Wirkung. Für diese Vorgänge gibt es sogar einen wundervollen Fachbegriff: Poesie-Therapie oder auch einfach Schreibtherapie. In diesem Artikel erfährst du, was Poesie-Therapie ausmacht und wie du sie für dich nutzen kannst.

1. Was ist Poesie-Therapie? Definition und Ziele

Therapeutisches Schreiben bzw. Schreibtherapie

Die Grenzen zwischen kreativem Schreiben und therapeutischem Schreiben sind fließend. Selbst oder vielleicht gerade biografisches Schreiben kann als eine Form der Schreibtherapie angesehen werden. So bezeichnen wir jede Art von Schreiben als Poesie-Therapie, wenn sie zur Persönlichkeitsentwicklung und zum eigenen Wohlbefinden beiträgt. Festhalten lässt sich, dass den meisten Schreibprozessen eine therapeutische Dimension anhaftet. Denn Schreiben ist ähnlich wie Sprechen eine Form von Selbstausdruck. Vielleicht führst du selbst zur Zeit auch eines dieser Selbstcoaching-Journals. Auch dahinter versteckt sich eine moderne Ansatz therapeutischen Schreibens.

Warum Schreiben?

Menschen schreiben um…

  • sich mitzuteilen.
  • ihre innere Welt zu erkunden.
  • sich auf eine Reise zu sich selbst zu begeben.
  • dem Schmerz oder schwierigen Erfahrungen etwas entgegenzusetzen.
  • Frieden zu finden und Wunden heilen zu lassen.
  • die Hoffnung festzuhalten und sich ihrer später zu erinnern.

Der Möglichkeiten warum wir schreiben gibt es noch viele. Nicht alle beziehen sich auf ein Problem. Manchmal stellen wir uns schreibend einer Herausforderung, die durchaus positiv Aspekte besitzt. Persönlichkeitsentwicklung, Achtsamkeit und Selbstfürsorge spielen eine wichtige Rolle beim Schreiben.

Poesie-Therapie ist eine Form der Kunsttherapie

Poesie-Therapie versteht sich als eine Form der Kunsttherapie. Der Kunsttherapie geht es, um sinnliche Wahrnehmung, die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und darum, Menschen zu ermöglichen ihre innere Gefühlswelt in künstlerischer Form auszudrücken. Vielleicht hast du selbst schon mal etwas gebaut, gemalt oder in irgendeiner Form geschaffen und hast dabei bestimmte Emotionen in dir aktiviert. Musiktherapie beispielsweise ist ein Teilgebiet der Kunsttherapie. Ein bestimmter Song oder das selbständige Musizieren können individuell Einfluss auf deine Gefühls- und Gedankenwelt nehmen. Und genauso wie die Bibliotherapie, bei der es um das Lesen von Büchern für das eigene Wohlbefinden geht, ist auch die Poesie-Therapie eine Form der Kunsttherapie. In bestimmten Situationen und bei verschiedenen Herausforderungen vermag das Aufschreiben von Gedanken und Geschichten deine psychische und körperliche Gesundheit zu stärken.

Schreibtherapie, obwohl ich gar keine Therapie möchte?

Im Artikel zur Bibliotherapie habe ich darauf hingewiesen, dass eine Bibliotherapie im Rahmen einer professionell-angeleiteten Therapie unterstützend wirken kann; Menschen können aber auch für sich und ohne Begleitung zu einem Buch greifen und von der positiven Wirkung des Lesens profitieren. Ähnlich verhält es sich mit der Poesie-Therapie, jedoch mit ein paar Einschränkungen und Anmerkungen. Beim Aufschreiben eigener Gedanken und Gefühle liegt der Fokus auf uns selbst und unserem Befinden.

Deshalb rate ich dazu, den bewussten therapeutischen Einsatz von Schreibmethoden im Falle negativer Gefühle oder Störungen mit Krankheitswert professionell betreuen zu lassen. Poesie- und Schreibtherapeuten sind in der Lage, den Prozess sinnvoll zu lenken und dafür zu sorgen, dass tatsächlich ein therapeutischer Mehrwert entsteht. Nicht immer ist die schreibende Beschäftigung mit unseren Ängsten und Nöten ansonsten hilfreich. Beim Schreiben sind wir stärker als beim Lesen bei uns und damit vielleicht auch näher an unseren eigenen belastenden Problemen.

Weiter unten findest du Informationen über eine mögliche Ausbildung zur Poesie-Therapeutin/Schreibcoach. Dort kannst du auch Listen einsehen, wenn du dich an eine ausgebildete Schreibtherapeutin bzw. an einen Schreibtherapeuten wenden möchtest. Bei Themen und Situationen, die keinen Krankheitswert besitzen, kann Poesie-Therapie natürlich auch ganz intuitiv betrieben werden. Hilfsmittel dafür, wie Schreibmethoden, Arbeitsbücher und konkrete Anleitungen, finden sich in der Fachliteratur und im Internet zahlreich.

2. Geschichte und Verbreitung der Poesie-Therapie

Ungefähr um 400 n.Chr. lebte Augustinus, ein Geistlicher und Philosoph, der in seinen “Bekenntnissen” seine eigene Lebensgeschichte schreibend aufarbeitete. Die schriftliche Auseinandersetzung ermöglichte Augustinus die Verarbeitung seiner Sorgen. Er zeigte, wie auch viele andere SchriftstellerInnen vor und nach ihm, dass das Schreiben auch den Weg zu der eigenen individuellen Identität bahnt. Augustinus betrieb Selbstheilung durch das Schreiben und wird deshalb in der Geschichte der Poesie-Therapie oft als erstes genannt.

Weiterhin stehen auch große Namen wie Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant oder Rainer Maria Rilke für das therapeutische, selbsterkennende Schreiben. Der Psychologe Sigmund Freud leitete später einen Wendepunkt ein: mit seiner freien Assoziation und dem Dreischritt “erinnern, wiederholen und durcharbeiten”. Sein Bekannter Alfred Adler entwickelte eine eigenständige Lehre und integrierte u.a. das Aufschreiben autobiografischer Inhalte in die Therapie. Seiner Ansicht nach, vermochte das Schreiben wichtiger Lebensinhalte Erkenntnisse darüber zu gewinnen und darüber hinaus sogar die Möglichkeit aufzutun, störende Handlungsmuster zu korrigieren.

Der Amerikaner James W. Pennebaker untersuchte Ende des 20.Jahrhunderts den Einfluss expressiven Schreibens auf die psychische und körperliche Gesundheit. Mit positiven Ergebnissen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Poesie-Therapie in den USA und anderen englischsprachigen Ländern noch etwas stärker etabliert ist als hierzulande. Dennoch erlebt die Schreibtherapie, ebenso wie die Bibliotherapie, in den letzten Jahren eine neue Aufmerksamkeit, die sich in zahlreichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen wiederspiegelt. Und obwohl Poesie-Therapie hierzulande für sich genommen noch keine Anerkennung durch die Krankenkassen findet, kann sie in eine anerkannte und geförderte Therapie integriert werden.

3. Methoden, Wirksamkeit und Anwendung der Poesie-Therapie

Regelmäßiges Schreiben

Beim Schreiben werden die Erfahrungen, die man gemacht hat, verarbeitet und neu gestaltet. Wer regelmäßig schreibt kann über diesen Prozess unbewusst die eigenen Wünsche, Ängste und Neigungen entdecken, denn der wiederholende Schreibprozess führt dazu, dass ähnliche Themen und Gedanken auftauchen.

Tagebuch schreiben und Selbstcoaching-Journale

Eine besondere Form des regelmäßigen Schreibens sind Selbstcoaching-Tools, Bullet-Journals oder auch Tagebücher. Zum Teil sind dies traditionelle, zum Teil aber auch sehr moderne Ansätze therapeutischen Schreibens. Sie stellen eine Form der Selbstreflexion dar.

Tagebücher erfüllen hin und wieder die Funktion des “seelischen Mülleimers” und können zumindest in gewissem Rahmen zeitweilig die fehlende Gesprächspartnerin oder den Gesprächspartner ersetzen. Indem solche “Tools” zur Selbstreflexion und Strukturierung beitragen, helfen sie auch komplizierte Situationen besser zu verstehen und zu bewältigen.

Was passiert beim Schreiben?

Ilse Orth, eine der Begründerinnen der Poesie- und Bibliotherapie im deutschsprachigen Raum hat davon gesprochen, dass Bücher das “Unsagbare” sagbar machen. Der Umweg über das Papier ermöglicht das Festhalten intensiver oder sogar schwierige Gefühle und diese können so leichter verbalisiert werden. Schreiben eröffnet einen Zugang zu Kreativität, verbale Kommunikationsgrenzen werden überwunden durch die Verwendung von Methaphern, sprachlichen Bildern und Fantasien. Vielleicht werden sogar erst gewisse Erinnerungen assoziativ geweckt und können dadurch überhaupt untersucht werden.

Nachlesbare Ergebnisse

In einem Gespräch verlieren sich viele Informationen. Beim Schreiben hingegen erhältst du ein Ergebnis auf das du später nochmal zurückkommen kannst. Das Schreiben bewahrt und dokumentiert und dient damit auch als Schutz vor dem Vergessen. Diese Ergebnisse lassen sich natürlich noch weiterentwickeln und müssen nicht starr sein.

Schreibwerkstätten

Nicht jeder Mensch möchte eine Therapie machen oder allein zu Papier und Stift greifen. In Schreibwerkstätten an Volkshochschulen, Urlaubsorten oder in der Nachbarschaft werden kreative Schreibprozesse in kleinen Gruppen vollzogen. Zwar haben solche Vorgänge in den meisten Fällen eine therapeutische Wirkung, jedoch sollten sie nicht als Ersatz für eine Psychotherapie angewendet werden. Wenn dich eine Poesie-Therapie interessiert, wäge bitte gründlich ab, ob professionelle Hilfestellung angezeigt ist oder nicht.

Sollten deine Bedürfnisse oder Herausforderungen keinen Krankheitswert aufweisen, kannst du auch Schreibübungen aus Büchern heranziehen. Die Poesie-Therapeutin und Autorin Silke Heimes hat dafür hilfreiche Ratgeber veröffentlicht. Eine kleine Auswahl findest du in den Quellen.

Positive Themen

Wenn du ohne Anleitung und in Eigenregie Poesie-Therapie betreibst, ist es ratsam, dich auf positive Themen zu konzentrieren. Andererseits können negative Gefühle verstärkt und gefestigt werden. Kurze aufrüttelnde Impulse können auch bei schwierigen Themen gut tun, aber über einen längeren Zeitraum sollten sich die Schreibprozesse auf Hilfreiches, Hoffnungsvolles und Erbauliches konzentrieren. Auch sollte das Schreiben nicht der dauerhaften Flucht aus der Wirklichkeit dienen. Aber das ist sicher selbsterklärend.

Arten des Schreibens

  • Kreativ-biografisches Schreiben
  • Kreatives Schreiben zur Entwicklung des Schreibstils
  • kreativ-therapeutisches Schreiben → Poesie-Therapie
Professionell begleitete Poesie-Therapie

Schreibtherapie kann sowohl in der ambulanten als auch stationären Therapie zum Einsatz kommen. Auch in der sozialen Arbeit mit Jugendlichen findet sie Anwendung. Schreiben dient in diesem Zusammenhang der sozialen Integration, der Selbstwertförderung, der Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten und der Erkundung persönlicher Empfindungen. Auch in der Gerontologie und der Trauerbegleitung können angeleitete Schreibprozesse wirksam genutzt werden.

Coaching in den verschiedensten Bereichen hat erkannt, welche Bedeutung Schreibübungen zukommt und welche Macht der zielgerichtete Einsatz kreativer Methoden hat. Schreiben wirkt sehr individuell. Kognitive Wahrnehmung, Emotionen und körperliche Empfindungen werden bei allen Schreibenden unterschiedlich ausgelöst. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass Schreiben folgenden Funktionen dienen kann:

  • Klarheit gewinnen
  • Gedanken ordnen
  • Distanz schaffen
  • neue Zugänge zum Erlebten ermöglichen
  • Horizonterweiterung
  • Gewinn von neuen Perspektiven und Blickwinkeln
Abgrenzung Poesie-Therapie und Bibliotherapie

Wenn du hin und wieder auf Literaturpower surfst, dann weißt du wahrscheinlich, was Bibliotherapie ist und wie du sie für dich nutzen kannst. Falls nicht, kannst du es hier nachlesen. Umgangssprachlich werden beide Begriffe hin und wieder synonym verwendet, was aber nicht ganz richtig ist. Der Poesie-Therapie geht es um den aktiven Vorgang des Schreibens. Bei der Bibliotherapie wird vor allem gelesen. Beiden Anwendungen geht es um die heilsame Kraft die in Poesie und Literatur steckt.

4. Ausbildung und Weiterbildungsmöglichkeiten

Zahlreiche Universitäten und Institute bilden Ausbildungsmöglichkeiten im Rahmen des kreativen Schreibens an. Google verrät da gerne mehr. Zu lang wäre eine vollständige Liste an dieser Stelle. Ich möchte jedoch auf eine besondere Ausbildungsmöglichkeit hinweisen, die über kreatives Schreiben hinausgeht. An der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit können sich Poesie-Therapeutinnen und Therapeuten umfassend ausbilden lassen.

Ilse Orth selbst ist in die Leitung der Weiterbildung eingebunden. Auf der Homepage des Institutes findet sich folgende Aussage zum Anwendungsgebiet: Poesie- und Bibliotherapie könne “zur Beratung bei der Bewältigung von Lebenskrisen, der Unterstützung bei Behandlungen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, in der Förderung von Gesundheit, Kreativität, humanem und ökologischem Bewusstsein eingesetzt werden. Selbstverständlich sind in dieser Weiterbildung auch Menschen willkommen, die diese Erfahrung zunächst nur für sich persönlich nutzen wollen.”

Der 1984 gegründete Berufsverband der deutschsprachigen Gesellschaft für Poesie- und Bibliotherapie, kreatives Schreiben und Biographiearbeit bietet eine umfassende Übersicht ihrer Mitglieder. Solltest du also eine professionell begleitete Poesie-Therapie in Erwägung ziehen, findest du auf der Homepage der DGPB eine Liste von anerkannten Poesie-Therapeutinnen und Poesie-Therapeuten. Die DGPB bemüht sich um qualitätssichernde Standards in der Aus- und Weiterbildung.

Die oben genannte EAG ist die einzige deutschsprachige Akademie, die derzeit diesen Standards offiziell entspricht. Die komplette Weiterbildung am EAG kostet um die 5000€ bis 6000€. Die Ausbildung umfasst eine Grundstufe (4×4 Tage), eine Aufbaustufe (4×4 Tage) und eine Zertifikatsstufe (2×4 u. 1×3 Tage). Eine zusätzliche therapeutische Qualifizierung (3×4 Tage) ist Menschen mit professioneller therapeutischer Ausbildung vorbehalten (Approbation, ein Abschluss in einem anerkannten Heilberuf, Zulassung zum/zur HeilpraktikerIn für Psychotherapie). Die kompletten Informationen findest du unter diesem Link: https://www.eag-fpi.com/kurzzeitausbildungen/kreativ-kunst-musiktherapie/poesie-bibliotherapie/.

Darüber hinaus gibt es natürlich noch andere Weiterbildungsmöglichkeiten, die bibliotherapeutische und poesie-therapeutische Inhalte beinhalten. Du solltest bei deiner Auswahl aber immer auf seriöse Anbieter achten. Weitere Möglichkeiten, dich über Poesie-Therapie zu informieren findest du nicht zuletzt im englischsprachigen Raum.

5. Fazit

Schriftstellerinnen und Schriftsteller wissen um die Macht des Schreibens. Sie schreiben nicht etwa zum Spaß oder aus einer Laune heraus. Sie schreiben, weil sie eine Notwendigkeit zu schreiben verspüren. Und egal ob du diese Notwendigkeit auch spürst oder noch nicht: Probier’ es aus. Schreiben kann positiven Einfluss auf dein Wohlbefinden haben und dir Erkenntnisse über dich liefern, die bislang verborgen blieben. Vielleicht beginnst du mit einem kleinen Dankbarkeitstagebuch oder einer kreativen Schreibübung aus einem der untenstehenden Bücher. Der Möglichkeiten sind viele und ich hoffe, dass du ein paar interessante Einblicke gewinnen konntest.

Bleistift, Papier und Bücher sind das Schießpulver des Geistes. Neil Postman

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