Anatomie der Frau: Deshalb wissen wir so schlecht Bescheid.
Kennst du den Unterschied zwischen Vulva und Vagina? Ähm … ich kannte ihn nicht. Ehrlich. Bei den männlichen Geschlechtsorganen kenne ich mich anscheinend besser aus. Und wusstest du beispielsweise, dass die Klitoris nicht nur wenige Millimeter groß ist, sondern bis zu 10cm in den Körper hineinragt? Wenn du das tatsächlich wusstest, hast du Glück, denn erst 1998 (!) wurde diese Erkenntnis verbreitet und hat selbst heute noch längst nicht ihren Weg in alle Schul- und Aufklärungsbücher gefunden.
Wie konnte so etwas passieren und warum ist unser Verhältnis zu den weiblichen Geschlechtsorganen anscheinend irgendwie gestört? In “Der Ursprung der Welt” klärt uns Liv Strömquist darüber auf und schafft Abhilfe.
Titel: Der Ursprung der Welt
Autorin und Illustratorin: Liv Strömquist
Übersetzerin: Katharina Erben
Verlag: Avant Verlag
Die Kulturgeschichte der Vulva
Liv Strömquist ist ein Universaltalent. Sie ist Comiczeichnerin, Radiomoderatorin, Politikwissenschaftlerin, Feministin und noch so vieles mehr. Während wir ihre Werke betrachten, werden wir Zeuginnen und Zeugen ihres mannigfaltigen Genies. Ich könnte mich jetzt in großen Lobgesängen über diese Frau verlieren, aber eigentlich möchte ich dir ja ihre Graphic Novel vorstellen. Vielleicht sollte ich auch besser sagen “Graphic Essay”, denn die Autorin erzählt zwar Geschichten in ihrem Werk, jedoch handelt es sich hier um eher sachliche Themen, genauer gesagt um die Kulturgeschichte der Vulva.
Eingangs habe ich die Unkenntnis und die damit einhergehende Unsicherheit erwähnt, die leider oft unser Verhältnis zu den eigenen Geschlechtsorganen begleitet. Strömquist deckt jedoch auf, dass unser gestörtes Verhältnis nicht allein auf Unkenntnis, sondern vielmehr von einer falschen Beschäftigung durch viele verschiedene Männer der Weltgeschichte herrührt.
Strömquist über das weibliche Geschlechtsorgan:
“Was ist das überhaupt? Und warum verbindet die Menschheit eine so extrem unentspannte, borderline-mäßige Hassliebe mit diesem Körperteil?”
Und wir können weiter fragen: Warum wird dem Orgasmus des Mannes so viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als dem der Frau? Warum legen wir uns immer noch allzuoft auf ein binäres Geschlechtssystem fest und operieren gesunde Kinder, nur damit sie in dieses System passen? Was ist es, das Menstruation gesellschaftlich tabuisiert hat?
Erfrischender Feminismus gegen gezielte Herabsetzung
Die Radikalität, mit der Strömquist hantiert, reißt Mauern ein, weckt Neugier und lässt Hemmungen schwinden. Die Lektüre ist somit zutiefst erfrischend und befreiend. Ich habe beim Lesen mehrere Male laut aufgelacht, mich manches Mal für meine eigene Ignoranz geschämt und dann wiederum bin ich wütend geworden, dass wir so eine lange Zeit nicht gegen die gezielte Herabsetzung unseres Körpers angegangen sind.
Die Vagina ist nunmal nicht nur eine Scheide und damit ein Gefäß für den Penis. Es ist einfach falsch, auch biologisch aber noch viel mehr gesellschaftlich, sie als Mangel zu definieren, denn es handelt sich hier um ein eigenständiges Organ, das vielschichtig und in seiner Komplexität einfach völlig unbeachtet und unterschätzt worden ist.
Um es mit den Worten von Jan-Paul Koopmann zu sagen:
“Mit Strömquist anlegen möchte man sich dabei aber nicht: Sie führt ihre Gegner vor, entlarvt sie als verklemmte Sexisten – macht sie als Trottel lächerlich. Und das mit beachtlicher Schlagfertigkeit und im Comic geschickt inszeniertem Wortwitz. […] Beim Umblättern haut sie einem Pointen in gefetteten Riesenlettern um die Ohren, redet sich dann wieder seitenlang in Kleinstbuchstaben in Rage – und garniert ihren Vortrag auch visuell mit flapsigen Randbemerkungen. Natürlich weiß die Radiomoderatorin Strömquist, dass Sprache eben auch klingen muss.” (Quelle: Spiegel)
Wir müssen keine radikalen FeministInnen sein, um anzuerkennen, dass immer noch patriarchale Machtverhältnisse gelten. Liv Strömquist übt scharfe Kritik und lässt auch ihre Leserinnen und Leser noch besser verstehen, welchem Irrsinn wir tagtäglich ausgesetzt sind. Ein ganz wundervolles Werk, dessen Lektüre in jedem Fall lohnt, bereichert und stärkt.