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Liebe Leserin, lieber Leser, die Auseinandersetzung mit manchen Themen kann belasten oder verstören. Solltest du selbst gewaltvolle Erfahrungen gemacht haben, dann informiere dich bitte auch hier über die Möglichkeiten professioneller Hilfe.

In diesem Artikel wird ein Roman vorgestellt, der eventuell Triggerrisiko beinhaltet. Bitte schätze dich selbst gut ein, ob du in der Verfassung bist, über gewaltvolle Erlebnisse zu lesen.

„Im Herzen der Gewalt“ von Edouard Louis

Jedem geht es mal nicht gut. Das kommt bei mir beispielsweise vor, wenn ich an Dinge denken muss, die passiert sind und die ich nicht mehr ändern kann. Für solche Augenblicke gibt es viele Strategien. Eine meiner Lieblingsstrategien ist, mein Telefon zu nehmen und einen Freund oder eine Freundin anzurufen und mein Herz auszuschütten. Reden. Einfach reden und meine Sorgen in Worte fassen.

Das bringt es manchmal schon.

Die Bibliotherapie nutzt dieses Konzept. Denn sie weiß: Worte helfen. Beim Lesen. Beim Schreiben. Und auch beim Erzählen sind es Worte über die wir unsere Bedürfnisse kommunizieren, uns Verständnis einholen und unsere Emotionen transportieren.

Vielleicht deshalb sprudelt es auch aus Edouard nur so heraus, nachdem er Opfer einer Gewalttat geworden ist.

“Ich konnte ja auch nicht aufhören, davon zu erzählen. In der Woche nach Weihnachten hatte ich den meisten meiner Freunde den Vorfall geschildert, doch nicht nur ihnen, auch Personen, denen ich nicht so nahestand, entfernteren Bekannten oder Leuten, mit denen ich bisher kaum gesprochen hatte, manchmal auch nur auf Facebook.”

Sollte dieser Roman auf einer wahren Gegebenheit beruhen, wie in einem Artikel der Zeit vermutet wird, ist sicher auch die Niederschrift seiner Erlebnisse für den jungen Autoren Edouard Louis eine Form der Therapie.

Ein Gewahrwerden, eine Konfrontation und ein Verstehensprozess.

Das sind sehr schwierige Phasen, die ein Opfer durchläuft. Edouard, das ist der Vorname des französischen Schriftstellers Louis und auch der Name seines Protagonisten in “Im Herzen der Gewalt”. Es ist die Geschichte einer brutalen Gewalttat zum einen und gleichzeitig die Geschichte vieler anderer gewaltvoller Umstände zum anderen.

Die Zeit schreibt: “Der Roman ist zugleich getrieben von der düsteren Ahnung, dass es aus der Spirale von Angst, Gewalt und Verachtung womöglich kein Entrinnen geben könnte.

Ist das wirklich so? Ich habe da meine eigene Lesart und habe vieles beim Lesen mitgenommen. Vielleicht nicht unbedingt Zuversicht und Menschenliebe. Aber auch nichts Gegenteiliges. Ich glaube, dass diese “Spirale von Angst, Gewalt und Verachtung” besonders durch Ignoranz und Unwissenheit geprägt und katalysiert wird.

Literatur schiebt dem ja in gewisser Weise einen Riegel vor. Wenn wir lesen, klären wir diese Unwissenheit auf. Verständnis wird erreicht, nicht Verachtung.

Keine Zuflucht

Schauen wir uns nochmal die Handlung des Romans genauer an. Edouard sucht nach den schlimmen Vorfällen in dieser Dezembernacht Zuflucht bei seiner Schwester und seinem Schwager auf dem Land. Er wird es schnell bereuen.

“Vor vier Tagen bin ich hier eingetroffen, in der naiven Hoffnung, ein paar Tage auf dem Land wären das einzige Mittel, über die Müdigkeit und den Überdruss meines Alltags hinwegzukommen, aber kaum hatte ich dieses Haus betreten, die Reisetasche auf die Matratze gestellt, kaum hatte ich das Schlafzimmerfenster geöffnet, das auf die Wäldchen und die Fabrik des Nachbardorfs hinausgeht, da begriff ich, dass ich einem Irrtum aufgesessen war und noch melancholischer und deprimierter wieder nach Hause fahren würde.”

Zu diesem Resultat tragen verschiedene Umstände bei, die ich nicht ausführlich erläutern möchte. Aber auch in diesen kleinen, zwischenmenschlichen Interaktionen innerhalb der Familie gibt es eine gewaltvolle Ebene, die relevant ist.

Opfer sein hört leider nicht mit dem Ende einer Tat auf. Vieles beginnt unmittelbar danach, manches vielleicht sogar erst Monate oder Jahre später.

Traumata sind beispielsweise noch nicht gänzlich erforscht, aber es gibt bereits gute Traumatherapien. Obwohl Schreiben und Lesen wertvolle Bestandteile einer solchen Therapie sein können, bitte ich dich, es nicht ausschließlich in Eigenregie zu versuchen, sondern professionelle Hilfe einzuholen, solltest du betroffen sein.

Literatur kann dich in solch schwierigen Situationen nur zusätzlich unterstützen. Manchmal wird sie dich noch nicht mal stärken, sondern nur schwächen.

Vielleicht weist dich der Roman “Im Herzen der Gewalt” darauf hin, wo es bei dir selbst (noch) weh tut und an welcher Stelle vielleicht eine Aufarbeitung nötig ist. Manche Romane verdauen wir nicht so leicht. Es ist bei Weitem nicht alles „Fast Food“ auf dem Buchmarkt und hier und da gräbt sich eine Geschichte tief in uns rein und krallt sich da fest.

Der Schock, den Edouard heimsucht, ist spürbar beim Lesen. Ich kenne die anderen Werke des Schriftstellers nicht, aber für dieses Buch kann ich ganz klar sagen, dass der Autor es versteht seine Leserinnen und Leser sprichwörtlich “in den Bann zu ziehen”. Das mag ein Talent, eine Gabe sein. In diesem Falle ist es auch ein Fluch mit beängstigender Wirkung.

Denn was wir hier lesen ist nicht irgendein Krimi oder Thriller. Es ist ein literarischer Erfahrungsbericht, bei dem die Fiktivität der Handlung keine Rolle mehr spielt. Denn in unseren Köpfen wird die Geschichte wahr und mit ihr all der Schmerz, den sie transportiert.

Der Schmerz über die Diskriminierung, den Rassismus, die Ignoranz und die Dummheit. Der Schmerz über das Nichtwahrgenommenwerden. So wie auch Edouard während des langen Gesprächs seiner Schwester mit ihrem Mann hinter der Tür lauscht und nicht wahrgenommen wird.

Nicht physisch und auch nicht als Mensch.

Denn was er ist und sein möchte, das sehen die anderen nicht. Und es interessiert sie wohl auch nicht.

“Er hat sich weniger verändert, als er glauben machen will. Ich weiß, dass ich recht habe. Ich seh doch, wenn er herkommt zu Besuch, an den ersten Tagen, wenn er ankommt und sein Gepäck aufs Zimmer bringt, da stellt er sich mit allem wer weiß wie an. Als ob er uns um jeden Preis zeigen wollte, dass er nicht mehr ist wie wir, sondern dass er anders geworden ist und anders ist. Zu gut für uns.”

Es sind die Worte einer Schwester, aber gleichzeitig lese ich in diesen Zeilen die Kritik vieler Elternteile, die ihren Kindern die Entwicklung hin zu etwas Neuem und vielleicht ihnen Unbekanntem nicht gönnen. Kennst du diese Kritik? Fürchtest du dich auch vor ihr? Sie wird vielleicht in Edouard Louis’ anderem Roman “Das Ende von Eddy” noch stärker präsent, aber auch hier schwingt sie mit. Mehr als deutlich.

Ich wünsche dir eine gute Lektüre und viel Kraft bei all deinen Herausforderungen.

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