Auf diese Aufgaben bereitet das Leben nicht vor
Wenn deine Eltern krank werden musst du auch an dich denken
Auf viele Aufgaben hat uns das Leben nicht vorbereitet. Alle Eltern werden irgendwann alt und manche im Alter sogar krank. Oft werden dann die Rollen getauscht und die Situation für Angehörige schwierig. In so einer Phase ist es wichtig, auch auf dich zu achten und dir Unterstützung einzuholen.
Ich möchte dir für diese Lebensphase den Roman „Kopfzecke“ von Iris Blauensteiner vorstellen. „Ein einfühlsamer Roman über den Abschied einer Tochter von ihrer demenzkranken Mutter“, so steht es auf dem Buchrücken. Erfahre in diesem Artikel, wie dir die Lektüre bei deiner schwierigen Aufgabe helfen kann.
Wenn wir auf die Welt kommen, ist da die Fürsorge unserer Eltern. Im Grunde sind wir unser ganzes Leben lang auf Fürsorge angewiesen, in der ein oder anderen Form und in manchen Phasen stärker und in manchen wieder weniger. Das gehört dazu und das lernen wir zu akzeptieren. Wenn jedoch die Eltern unserer Fürsorge bedürfen, kann diese Situation schnell zur Last werden. Die Pflegebedürftigkeit wird nicht selten zur Zerreißprobe. Was macht es mit dir einen Elternteil pflegen zu müssen? Was macht es mit deiner Mutter oder deinem Vater selbst?
Reicht das Mitgefühl? Wann beginnt die Scham? Wann sogar die Verachtung?
Iris Blauensteiner beweist viel Empathie wenn sie über die Beziehung einer demenzkranken Dame und ihrer berufstätigen Tochter schreibt. Schuldbewusstsein, Gewissensbisse und Pflichtgefühl einerseits, aber auch Wärme und Liebe beeinflussen das Denken und Fühlen in so einer Lage. Oft muss überhaupt erstmal realisiert werden – was passiert hier gerade? Eigentlich ist es doch normal, dich mit deinen Eltern zu unterhalten und plötzlich unterhälst du dich und es geht ins Nichts. Manchmal fühlt es sich für dich sogar beliebig an, was du ihnen erzählst. Vielleicht hast du mal zu deinem Vater oder deiner Mutter hochgesehen und jetzt fällt es dir schwer, den Respekt aufrecht zu halten.
Im Roman bekommen all jene Gefühle und Fragen Raum. Er zwingt dir gleichzeitig nicht seine eigenen auf, sondern führt dich leise und sanft entlang verschiedener Gedanken. Es ist ein ruhiges Buch. Ich selbst werde immer ruhiger je weiter ich lese. Dabei wird es dir deine Traurigkeit nicht nehmen, aber doch deren Wirkung schwächen. Und was ist es denn genau was dich traurig macht? Es hat wohl viel mit Erinnerung zu tun. Erinnerungen sind das was aus einer vergangenen Zeit noch im Bewusstsein ist und plötzlich – so nehmen wir das bei unseren Angehörigen wahr – treten da Lücken auf. Es entstehen Erinnerungsfetzen, die verschwimmen und der Überblick geht schleichend verloren.
„Was weißt du noch? Erinnerst du dich?“ Die Tochter Moni sucht immer wieder das Gespräch auf einzelne Puzzleteile zu lenken. Mit Hilfe von Fotos möchte sie Antworten und Wahrheiten erlangen, die ihr bald niemand mehr geben kann. Das Vergessen ist unbarmherzig, das Ganze wird bald nicht mehr zusammengehalten.
Den Abschied einleiten
Mit diesem Loslassen von Erinnerungen wird auch ein Abschied eingeleitet. „Sie trennt sich langsam vom Leben.“ Die Mutter verliert sich zunehmend und nimmt nicht mehr an der Realität der Tochter Moni teil. Ich glaube, dass das eine sehr schwierige Erkenntnis ist, die Hilflosigkeit, Ärger, Wut, Trauer, Schmerz und Verzweiflung hervorrufen kann. Und Mitleid. „Was sie auch sieht, was sie sich den Tag über auch ausdenkt, ich wünsche ihr, in angenehme Vorstellungen zu fallen.“ Mitleid und Sorge sind auch Teil dieser neuen Beziehung. Neue Beziehung schreibe ich, denn nicht selten erwachsen andere Muster und Verhaltensweisen aus so einer veränderten Situation.
Moni fürchtet, dass sie sich nur noch auf sich verlassen kann. In ihrer Trauer hat auch sie sich zurückgezogen, weg von ihrem Freund und den Dingen, die sie erfüllten. Ständig umtreiben sie die Sorgen um ihre Mutter. Ist sie gut versorgt? Hat sie die Tabletten genommen? Was wenn sie wegläuft und nicht zurückfindet? Die ständige Ungewissheit zerfrisst sie.
Aber während wir uns um unsere Eltern sorgen, hören unsere eigenen Sorgen nicht auf und wir spüren so eine doppelte Last. Was kommt alles auf mich zu? Welche Informationen muss ich einholen? Wo bekommt meine Mutter oder mein Vater die optimale Betreuung? Kann ich das überhaupt alles leisten? Ist es egoistisch meine Eltern nicht zu Hause zu pflegen? In einem Moment in dem deine Nerven bereits zu zerreißen drohen, muss die Kraft aufgebracht werden, um gute Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen von der alle, die an der Krankheit beteiligt sind, profitieren.
Egoismus ist nicht per se schlecht
Ich habe bereits Egoismus angesprochen. Das Wort, das so negativ besetzt ist. Und in manchen Fällen doch so wichtig. Denn egoistisch sein heißt auch Selbstschutz betreiben. Du musst dich immer fragen, ab wann deine Aufgaben und Sorgen zur Selbstaufgabe führen und ob du das wollen kannst. Nicht selten fühlen sich Menschen in so einer Situation allein gelassen mit einem Berg Verantwortung. Die Eltern haben ihren Schutz und Sicherheit verloren und du musst dafür sorgen die Stabilität wieder herzustellen. Das überfordert. Es ist deshalb so wichtig zu erkennen, dass du eben nicht allein bist mit deinen Gefühlen und dass du ein Recht auf Unterstützung hast.
„Angst, wie geht man um mit diesem Tier?“ Moni durchlebt alle Phasen der Verzweiflung, der Selbstkritik und der Angst. Sie hat ihre Mutter lieb und möchte für sie da sein. Aber die Mutter igelt sich immer mehr ein, fokussiert ihre Aufmerksamkeit auf Moni, ruft ständig an. Es wird zuviel. Moni selbst ist berufstätig und weiß nicht wie lange sie das schaffen kann. Der Alltag wird schwer.
Berufstätig oder nicht – belastend ist so eine Situation immer, denn kaum jemand von uns ist auf die Konflikte, die es zu bewältigen gilt, vorbereitet. Das Buch schafft in seiner achtsamen Sprache eine Atmosphäre, die Konflikte akzeptiert und behutsam angeht. Neben dem Stress und der Arbeit, die auftreten, geht es nämlich auch um unsere ganz persönlichen Ängste. Um reale und unreale Ängste. Älter werden wir auch und pflegebedürftig – das will niemand von uns sein. Nicht zuletzt deshalb hilft dir dieser Roman bei der Auseinandersetzung mit den Ängsten, die dich bewegen.
Mit Blick auf Moni und ihrem Abschied von der Mutter erlaubst du dir ein bisschen Abstand von deinen ganz persönlichen Sorgen und Gedanken zu gewinnen. Es geht hierbei nicht nur um Trost oder Lösungen, sondern um Verständnis. Sich in einer so intensiven Zeit verstanden zu fühlen ist essentiell. Ein Du gibt es nicht erst nach dem Abschied von den Eltern. Du zählst immer.
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Was du lesen musst, um in der Großstadt zu entspannen
In diesem Artikel werde ich dir erzählen, warum Lesen und ganz besonders dieses Buch lesen, dir helfen wird zu entspannen und der Enge der Großstadt zu entfliehen.
Bei der Recherche für diesen Artikel bin ich auf diesen Satz gestoßen: „Stadtbewohner leiden häufiger an psychischen Krankheiten als Landbewohner.“ Kurz hörte ich auf zu atmen; war schon in Begriff meine Wahlheimat Berlin gedanklich zu verfluchen und las dann zum Glück im nächsten Satz, dass das Leben in der Stadt trotzdem den meisten Menschen gut täte. (Quelle)
Puh. Ich liebe Berlin. Ich liebe Berlin wirklich. Und ich fluche auch oft über Berlin. Weil es laut ist, eng und hektisch. Ich könnte jetzt sehr viele Beispiele aufzählen warum und wie und wann. Aber wenn du auch in einer größeren Stadt lebst, dann kennst du das.
Deine Stressantennen sind laut Deutschlandfunk sogar größer als bei unseren Nachbarn auf dem Land. Und das soll schon was heißen: der Lärm und der Stress in der Stadt haben unsere Psyche fest im Griff.
Einfach dem Lärm entfliehen
Vielleicht ist deshalb so unvermittelt dieses Buch auf meinem Schreibtisch gelandet. Neil Ansell schreibt in „Tief im Land“ über die fünf Jahre, die er in den Wäldern von Wales in einem kleinen Cottage lebte. Mitten im Berliner Weihnachtsstress gelangte dieses Büchlein in meine Hände und war darin so gut aufgehoben, als hätten sie es heimlich ersehnt. Denn dieses Buch ist genau was ich in dieser Jahreszeit brauche. Eine Ruheoase für den Geist. Eine Möglichkeit inmitten all diesen Trubels abzuschalten und zu entspannen.
Vor einiger Zeit schrieb mir ein guter Freund bei Whatsapp: „Ich war kurz im Urlaub. Aber jetzt, dank der Arbeit, habe ich ihn schon vergessen.“ Dazu sollte ich erwähnen, dass dieser Freund wirklich (wirklich!) viel und hart arbeitet, aber ich kenne niemanden, dem es nicht ähnlich geht: Du fährst in den Urlaub, brauchst erst ein paar Tage um runterzukommen, hast dann noch ein paar Tage die du genießen kannst und kaum bist du wieder zu Hause, hat dich der Alltagsstress wieder und die ganze Entspannung ist verpufft.
Das kann doch nicht sein!
Wir alle lieben die Stadt.
Hier gibt es keine Langeweile. Überall lauert Kreativität und Inspiration. Du kannst immer wählen zwischen einer Vielzahl an Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und Kulturangeboten. Das alles ist wunderbar. Und ich möchte es nicht mehr missen. Nicht jetzt. Berlin hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Aber Berlin stresst mich auch. Und manchmal sehne ich mich in dieses kleine Dorf zurück in dem ich meine ersten paar Lebensjahre verleben durfte, umgeben von viel Natur und damit unendlichem Raum zum Spielen und Toben.
Ich glaube dir geht es ähnlich. Vielleicht hast du das Dorfleben nie kennengelernt, aber du weißt um die Magie im Wald und in der freien Natur. Und deshalb wird dir „Tief im Land“ auch helfen der Stadt mitten im Trubel zu entkommen.
Ich habe es ausprobiert und an besonders stressigen Tagen ein wenig in dem Buch gelesen. Die Naturbeobachtungen, das einfache Leben im Cottage, das Verhalten der Vögel, das persönliche Verhältnis, welches der Autor zu den Tieren des Waldes aufbaut – all das ist so lebendig und anschaulich beschrieben, dass es mich wahrlich einfängt und teilhaben lässt.
Es ist als würdest du einen Waldpfad entlang spazieren, dich dann auf eine Bank setzen und das Grün um dich herum genießen. Keine Erwartungen, kein Lärm, keine Leistung, kein Stress.
Aber eigentlich sitzt du in der U-Bahn und der nächste Vogel sind die Chicken Wings in der Hand deines Banknachbarn. Was mich daran erinnert, dass unser Autor Vegetarier ist und das Buch (hätte ich vielleicht auch anders erwartet) kein Survival-Guide darstellt, sondern das sehr achtsame Leben in und mit der Natur beschreibt.
Achtsam
Achtsamkeit ist ja eh ein Begriff, der uns heute immer und immer wieder begegnet. Meditation wird uns nahe gelegt und langsames Essen hochgepriesen. Ich schaff‘ das aber ehrlich gesagt nicht immer so wie ich mir das wünsche. Und vermutlich fällt es dir auch leichter beim Abendbrot Netflix anzuschmeißen als in einer Zen-Meditation deine Mitte zu finden. Letzteres wäre sicherlich nachhaltiger was die Entspannung angeht … hätte hätte Fahrradkette … wir sind ja auch nur Menschen.
Aber ein Buch und dazu so ein auch optisch schönes wie das von Ansell, das kannst du immer und überall zur Hand nehmen wenn du es brauchst. Dabei musst du es gar nicht am Stück lesen. Glaub mir, du wirst schnell merken, dass du nichts verpasst. Es passiert wirklich nicht viel im Sinne einer stringenten Handlung. Wenn ich so bei Amazon die Bewertungen durchgehe, sehe ich, dass einige Leser doch ziemlich von der Tatsache enttäuscht sind, dass eben nicht viel passiert. Neil schreibt von den Vögelnestern, die er im Wald aufsucht; den Mahlzeiten, die er sich kocht und einer back-to-the-roots-Mentalität, die kein Drama kennt.
Vogelfreund müsse man sein um das Buch wertschätzen zu können, steht da unter anderem in einer Bewertung, die nur wenige Sterne vergab. Das kann ich so gar nicht unterschreiben. Mein ornithologischer (Ornithologie ist die Lehre von den Vögeln) Enthusiasmus hat seine Grenzen und ich würde in echt keinen Mäusebussard von einem Falken unterscheiden können, aber das hindert mich (und sicher auch dich) in keiner Weise daran von diesem Buch mehr als begeistert zu sein und von ihm zu profitieren.
Es ist wichtig, dass wir Stadtbewohner gut mit unseren Kräften haushalten und klar ist auch, dass uns das zivilisierte Leben manchmal mehr abverlangt als gesund ist.
Umso wichtiger Mittel und Wege zu finden, die unseren Geist verwöhnen und umsorgen. Dafür kenne ich kein besseres Medikament als ein gutes Buch und „Tief im Land“ gehört definitiv zu jener Lektüre, die uns hilft anstrengende Gedanken abzulegen.
Diese alles durchdringende Ruhe im Buch entführt dich in die Atmosphäre des Waldes, raus aus dem Großstadtdickicht. Neil empfängt dich „Tief im Land“ mit keinen philosophischen Lebensbetrachtungen oder einer psychologisch ausgefeilten Innenschau – nein. Er erzählt dir ganz einfach was er während seiner fünf-jährigen Stadtflucht sieht, lebt, isst und fühlt.
Damit schenkt er dir einen wundervollen Urlaub für den Geist.
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Was weißt du schon über Bipolarität?
„Etwas stimmt nicht.“
Mit dieser Erkenntnis kommentieren Melles Freunde seinen ersten Ausbruch.
Ich lese die ersten Seiten der Autobiographie und denke auch: Etwas stimmt nicht.
Klar. Das hätte ich wissen können.
Habe ich aber nicht. Ich habe genau dem Klischee entsprochen, dass der Autor in seinem Werk aufdeckt: die meisten haben nur eine vage Vorstellung von dem was es heißt manisch-depressiv zu sein.
Vage reicht aber nicht. Vage macht manchmal alles noch schlimmer. Verrückt handeln, unzurechnungsfähig sein, nicht „normal“ denken – wir tabuisieren sowas schnell. Bei Thomas Melle klingt das so: „Hier die Normalen, selbst von Neurosen, Phobien und echten Verrücktheiten durchzogen, aber alle liebenswert, alle mit einem Augenzwinkern integrierbar, während dort die Verrückten mit ihren Unverständlichkeiten hadern, schlichtweg nicht mehr einzuordnen sind, nicht zu ironisieren […].“
Mit diesem Artikel möchte ich das Buch „Die Welt im Rücken“ den Menschen empfehlen, die selbst an Bipolarität leiden. Und den Menschen, die sich dem Thema nähern wollen, weil sie aus einer vagen Vorstellung eine informierte machen wollen.
Vielleicht kennst du auch jemanden, der erkrankt ist und möchtest Bipolarität aus diesen Gründen besser verstehen. Melles Buch wird dir in jedem Falle weiterhelfen. Die Lektüre von „Die Welt im Rücken“ ist in ihrer Authentizität einzigartig.
Die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen
Der Autor Thomas Melle lebt seit über zwanzig Jahren in Berlin und hat hier wohl auch seine höchsten Höhen und seine tiefsten Tiefen verlebt. Der erste Schub erfolgte noch während des Studiums: „Für einen selbst ist es ein unbegreiflicher, allumfassender Kick, der einen in himmelschreiende Sphären schleudert“ – damit ist der Ausbruch einer manischen Phase gemeint. Auch dass es für Freunde und Familie „die blanke Tragödie“ ist, verschweigt Melle nicht.
Die Autobiographie beschreibt die verschiedenen Phasen seiner Krankheit detailreich, emotional und eben sehr lebensnah. Unbequeme Wahrheiten werden nicht geschönt, die Krankheit nicht verklärt.
Warum ist das so wichtig?
Unter Künstlerinnen und Künstlern, Schriftstellern und Schriftstellerinnen treten Depressionen und auch Manien überdurchschnittlich oft auf. Die These, dass diese Krankheiten häufig mit einem erhöhten Maß an Kreativität einher geht, ist nicht von der Hand zu weisen und trotzdem würde auch Melle sofort sein aktuelles Leben gegen eines ohne Krankheit austauschen.
„Man kann sich nämlich kaum ein schambesetzteres Leben vorstellen, als das eines manisch-depressiven Menschen. Das liegt daran, dass ein solcher Mensch drei Leben führt, die einander ausschließen und bekriegen und beschämen: das Leben des Depressiven, das Leben des Manikers und das Leben des zwischenzeitlich Geheilten. Letzterem ist nicht zugänglich, was seine Vorgänger taten, ließen und dachten.“
Interessanterweise habe ich dieses durchaus literarische Werk (Melle ist eben auch ein begnadeter Schriftsteller) in der Neuköllner Stadtteilbibliothek im Bereich Medizin gefunden. Thomas Melle wird von Ärzten für Vorträge eingeladen und das Buch dient auch Fachleuten zur Vertiefung.
Welche Vorteile wirst du aus der Lektüre des Buches ziehen können?
An einer Krankheit zu leiden (selbst oder durch einen erkrankten Menschen) und diese Krankheit nicht zu verstehen ist besonders belastend. Hilflosigkeit und Ohnmacht kann durch Unwissenheit bis ins Unendliche verstärkt werden. Die Wissenschaft macht Fortschritte und Behandlungsansätze entwickeln sich weiter. Die Menschen in der Gesellschaft sind aber oft uninformiert, damit ängstlich und damit leider auch abweisend und diskriminierend. Melles Buch übernimmt in diesem Sinne die ganz wichtige Rolle der Aufklärung.
Wie die Krankheit selbst ist dieses Buch an vielen Stellen anstrengend, unruhig und auch bedrückend. Mich hat das gerade zu Beginn sehr gestört und über diese Tatsache musste ich länger nachdenken. Was macht es mit mir so ein Buch zu lesen? Was macht es vielleicht mit meinen Leserinnen und Lesern?
Letztlich wurde mir klar, dass schwierige Krankheiten auch unbequeme Auseinandersetzungen nach sich ziehen und dass diese mentale Reibung von Vorteil sein kann.
Manche Erkenntnisse gewinnen wir vielleicht nur auf unbequemen Wegen und diese sind dann umso authentischer und tiefer. Einer Freundin, die selbst von Bipolarität betroffen ist, fühle ich mich nun näher. Für sie habe ich ursprünglich zu diesem Buch gegriffen, weil sie mir einst erzählte, dass es ihr helfe, über ihre Krankheit zu lesen. Ein wichtiger Aspekt in dieser Hinsicht scheint mir, sich verstanden zu fühlen, nicht nur blindes Mitgefühl zu bekommen.
Das ist schwer auszuhalten
In Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich viele Einträge in Foren gelesen, Fachartikel und mit Betroffenen und Angehörigen gesprochen. Ganz deutlich wurde dabei wie unterschiedlich die Vorstellungen davon sind, was belastender ist – die manische oder die depressive Phase. In der einen bist du von Energie durchströmt und sprudelst nur so – bis hin zum sogenannten Wahnsinn. In der anderen geht einfach nichts mehr.
Aber wie oben schon Melle anspricht: es gibt auch diese andere Seinsform, in der kein Extrem vorherrscht und sowohl die vergangene Manie als auch die Gefühle in der Depression auf emotionaler Ebene nicht mehr zugänglich sind. Der Rückblick auf beide Phasen ist dennoch schwer auszuhalten.
Kein Erfahrungsbericht ist allumfassend. Jeder tickt anders und Melle beschreibt seine Krankheit, nicht deine oder die deiner Freundin oder deines Freundes. Die Angst vor dem Kontrollverlust ist bei uns allen unterschiedlich ausgeprägt, die Fähigkeit über die eigene Krankheit zu sprechen auch. Manche Angehörige können gut mit den verschiedenen Phasen umgehen, manche geraten schnell an ihre Belastungsgrenzen.
Ein Buch wie „Die Welt im Rücken“ stellt dafür keinen Kompass dar. Es ist keine Gebrauchsanweisung. Die gibt es wahrscheinlich auch nicht. Hilfe solltest du dir – egal ob als betroffene Person oder als Angehöriger – trotzdem unbedingt einholen. Ärzte, Foren, professionelle Beratungsangebote: es ist wichtig dir trotz höchstmöglicher Aufgeklärtheit Unterstützung einzuholen und eben nicht alles im Alleingang durchzustehen.
Dort wo wir gerade stehen, wissen wir oft nicht wohin das Leben uns führen wird und auch wenn wir Wünsche oder konkrete Vorstellungen haben, nimmt das Leben manchmal ganz andere Wege, auf die wir nicht immer unmittelbar Einfluss haben… “jeder ist seines Glückes Schmied“… In der Welt der psychischen Krankheiten gelten solche Floskeln nur bedingt.
Ich wünsche dir viel Kraft und Zuversicht und hoffe, dass dich die Lektüre von Thomas Melles „Die Welt im Rücken“ ein Stück befreiter zurücklässt. Ich kann das von mir auf alle Fälle behaupten.